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So erscheinen sie dann, die Model-Wölfe,
da und nicht da, bis nach Honegge herauf.

Promenons-nous dans le bois!
Pendant que le loup n’y est pas …
(Aus dem Val  d’Anniviers?)

 

(Vladimir Sorokin, Roman, Haffmans Zürich 1995, Seiten 288 bis 294)

 

Er marschierte nach links und lief durch eine kleine, schöne natürliche Allee, doch plötzlich hörte er ganz in der Nähe seltsame Geräusche. Als weine jemand oder schluchze kaum vernehmbar und undeutlich.

Roman folgte vorsichtig dem Laut und konnte bald etwas erkennen, vorne zwischen den weißen Birkenstämmen. Er bewegte sich noch leiser und vorsichtiger. Nach ungefähr zwanzig Schritt hielt er hinter zwei sich aufgabelnden, dicken Birken inne.

Von hier eröffnete sich ihm eine kleine Waldwiese, auf welcher tot ein junges Elchtier lag. Quer über dem Elche hing ein ausgewachsener Wolf. Die Vorderpfoten auf den zerfetz­ten blutigen Bauch gelegt, riß er gierig rote Stücke vom Gekröse heraus und schluckte sie hastig, ohne zu kauen, in einer Art grausig schluchzendem Stöhnen. Der graue, oben plattgedrückte Schädel des Wolfes erinnerte an einen Pflasterstein, die trüben gelblichen Augen schienen blind. Das schmale, gleichsam hechtartige Maul des Wolfes war blutverschmiert.

Mit angehaltenem Atem sah Roman hin, und ein Gefühl des Ekels überkam ihn. Mit fahl gewordenen Händen nahm er vorsichtig das Klappmesser aus dem Korb, den Korb stellte er zu Boden.

Der Wolf verbiß sieh in den Ansatz der Rippen, zuckte, wovon der Körper des Elches ebenfalls zuckte. Die Knochen knackten zwischen den Fängen. Roman umklammerte das Messer mit der rechten Hand.

Dieser ganzen Szene eines blutigen Mahls inmitten der weißen Stämme des lichtdurchfluteten Waldes haftete etwas grausig Vulgäres an. Dieses aus innerstem Leibe kommende Stöhnen, dieses Knirschen junger Knochen, diese kraftlos hingestreckten Hufe und schließlich dieser graue Pflaster­steinkopf mit den Mörderaugen ließen Roman vor Haß erbeben.

Ganz außer sich hob er die Faust mit dem Messer und stürzte sich mit gellendem Schrei hinter den Birken hervor auf den Wolf. Der bis dahin träge und wenig lebhafte Wolf sprang von dem Kadaver herab und lief böse die blutigen Zähne aufeinanderschlagend, vor Roman davon, hinein in die Tiefe des Waldes. Sein Schwanz, dick und starr wie ein Scheit Holz, schleifte hinterher. Der Wolf lief nicht sehr schnell, weich setzte er die Pfoten auf, sein mageres Hinterteil hüpfte, er schielte oft nach Roman, welcher im Gegenteile aus voller Kraft rannte, die Hand mit dem Messer in Bereitschaft.

Als der Wolf merkte, daß sein Gegner nicht abließ, hörte er auf sich umzublicken und beschleunigte seinen Lauf. Sein langer grauer Körper wurde noch länger und streckte sich gleichsam flach über der Erde aus. Der Abstand zwischen ihnen nahm zu, Roman begann bereits seinen Schritt zu verlangsamen, als plötzlich der Wolf jäh innehielt und, das Maul Roman zugewandt, sich auf die angespannten Hinterläufe setzte. Dies kam so unerwartet, daß Roman ebenfalls stehenblieb.

Es trennten sie ungefähr zehn Schritt.

Mit gelben Augen blickte das Tier den Menschen an, fletschte die Zähne und knurrte leicht. Sein Schwanz war unter die Läufe geklemmt, wie eine Feder zum Sprung. Roman leckte sich die trockenen Lippen und bewegte sich langsam auf den Wolf zu. In seinem Herzen war nicht der Scharten einer Angst, Roman war ganz erfüllt von dem Wunsche nach Kampf – sämtliche Muskeln waren angespannt, das Blut war aus dem Gesicht gewichen, sein Herz pochte dröhnend. Der Wolf ging tiefer, knurrte. Sein Maul und die Vorderpfoten waren blutverschmiert.

Roman griff an.

Das Tier wich leicht zurück und stürzte sich dann mit plötzlichem heiseren Gebrüll auf Roman. Der Sprung kam derart schnell, daß Roman gerade noch seinen linken Arm vorstrecken konnte, und augenblicklich gruben sich die Zähne des Wolfes in den Ellbogen.

Roman wankte einen Schritt zurück, ohne jedoch zu fallen, dann rammte er dem Wolfe mit aller Kraft das Messer in die Seite, die kurze Klinge stieß gleichsam ins Leere. Der Wolf ließ augenblicklich vom Ellbogen ab und schnappte in einer Drehung nach der Hand mit dem Messer, bekam mit den Fängen den Unterarm zu fassen.

Roman seinerseits packte ihn mit der linken Hand im Ge­nick und warf sich auf ihn.

Der Wolf drehte sich mit dem ganzen Körper herum, knurrte und grub seine Zähne so tief in den Arm, daß Roman aufschrie vor Schmerz und mit aller Kraft dem Wolfe mit der linken Faust auf den Schädel schlug.

Der Wolf ließ den Arm los. Sofort stieß Roman ihm das Messer ins Maul, dann in den Kopf hielt ihn dabei mit der linken Hand am Halse gepackt. Doch das Messer drang nicht ein in diesen flachen breiten Schädel, rutschte ab wie an einem Pflasterstein und zerschnitt einen Finger an Ro­mans linker Hand.

Das steigerte Romans Kraft und Wut: mit unmenschlichem Gebrüll preßte er den zähnefletschenden, zubeißenden Kopf des Wolfes mit der Linken zu Boden, mit der Rechten begann er ihm Messerhiebe in die hellgraue Flanke beizubringen. Der Wolf zuckte, wand sieh unter den Händen heraus, die Zähne gruben sieh in Romans Seite. Ohne Rücksicht auf die Finger, griff Roman ihm ins Maul, machte sich los und rammte das Messer mit vollem Schwung in den breiten Hals.

Die kurze Klinge stieß auf etwas Hartes, wie auf einen Stein. Der Wolf zuckte am ganzen Körper, wollte sich losreißen, doch Roman stach und stach und stach, bohrte dem Tier das Messer in den Hals.

Die Pfoten des Wolfes streckten sich, als suche er etwas im Grase, er röchelte und zuckte nun schon kraftlos und unkontrolliert.

Roman hielt ihn bis zum Schluß fest, unablässig auf ihn einstechend, und als der graue, zottige Körper endlich ruhig geworden war, zog er das Messer heraus und fiel in völliger Erschöpfung auf den Rücken.

Die langen, gleichsam unendlichen Birken verliefen sich im hohen blauen Himmel, die nicht zu unterscheidenden Blätter raschelten schwach, die Sonne spielte in ihrem Gewirr.

— Ich habe dich getötet ... — wisperte Roman heiser. — Ich habe getötet, dich, du Mörder ...

Seine Augen füllten sich mit Tränen, die Birken, der Himmel, die Blätter — alles verschwamm darin.

— Ich habe getötet, — flüsterte er, lachend und weinend,

— ich habe getötet, dich, getötet.

Ein hysterisches Zittern überfiel seinen Körper. Roman streckte die blutigen Hände von sich, die Rechte hielt noch immer das Messer umklammert, er zitterte, schluchzte. In seinem Gesicht zuckte jeder Muskel, in seinen blauen, weit aufgerissenen Augen standen Tränen, und die fahlen Lippen flüsterten immer wieder:

— Getötet ... Ich habe dich getötet, getötet ...

Kurz darauf schloß er die Augen, drehte das Gesicht nach unten und fiel nach einigen Minuten des Zitterns in eine Bewusstlosigkeit, welche allem Anscheine nach etwas zwischen Ohnmacht und dem Schlaf eines erschöpften Menschen war ...

Als er wieder zu sich kam, spürte Roman einen anhaltend dumpfen Schmerz. Er raffte sich hoch, setzte sich.

Der Biß in der Seite tat weh, der linke Ellbogen schmerzte. Roman betrachtete seine Hände — sie waren blutüberströmt. Das Blut sickerte aus Rissen und Schnittwunden, der Meine Finger der linken Hand war angeschwollen und ließ sich nicht krümmen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht schob Roman den zerbissenen, blutdurchtränkten Ärmel der Jacke über den Ellbogen und entdeckte die Bißwunde. Rechts hatte er auch einen Biß abbekommen, doch dort hatte zum Glück das Wildleder den Arm vor den Zähnen des Wolfes geschützt.

Roman stand auf, hielt den Ellbogen umklammert.

Vor ihm lag der tote Wolf — ein großes, ausgewachsenes Tier Sein Maul stand halboffen, die eingetrübten Augen sahen zur Seite. Am Schädel des Wolfs und am Halse waren Blutspuren zu sehen.

»Habe ich dich wirklich getötet?« dachte Roman und betrachtete das Tier »Ich, mit diesen Händen hier? Einen Wolf getötet, den ich vorher noch nie von nahem gesehen habe?«

— Ich habe einen Wolf getötet, — sprach er lächelnd. — Ich habe einen Wolf getötet!

Ein Lachen durchfuhr ihn, und Roman lachte, schüttelte den Kopf. Was geschehen war, kam ihm vor wie ein kindlicher Traum, wie eine Sinnestäuschung. Er lachte, wankte über dem reglosen Wolfe hin und her, das Blut tropfte auf die cremefarbenen Hosen.

Über sein Lachen kam Roman zu Bewußtsein, daß er sich im Walde befand, daß er noch vor kurzem beim Pilzesammeln gewesen war, die Rufe der Verwandten gehört hatte. Den Korb hatte er bei den gegabelten Birken gelassen, den Hut verloren, als er dem Wolfe nachgerannt war.

»Ich gehe zu Akim«, entschied er, hielt sich den Arm, welcher in Abständen zu schmerzen begann. »Er fährt mich nach Haus ... Oder nein, direkt zu Kljugin, der wird mich verbinden. Oder sollte ich besser den Onkel suchen ge­hen? Doch wo? Sie werden wohl noch gut zwei Stunden umherstreifen ... hol‘s der Teufel, der Arm beginnt zu schmerzen.«

Er streifte den schweren blutbefleckten Ärmel ab und un­tersuchte den verwundeten Ellbogen.

»Ja. Wie tief er sich verbissen hat. Anfangs habe ich es gar nicht gespürt ... Es muß verbunden werden, damit es nicht weiterblutet ...

Er ließ sich auf die Knie nieder, zog sein holländisches Hemd aus der Hose, riß zwei nicht besonders gerade Strei­fen ab und wickelte sie um den Ellbogen. Das dünne Leinen wurde dunkel vom Blut.

»Was ist das doch für eine unvergleichliche Farbe.« Roman lächelte. »Und wir tragen sie in uns, es gluckert in uns, wie in einem Faß.«

Faß erinnerte ihn an Wasser. Roman leckte sich über die trockenen Lippen: er verspürte starken Durst.

»Akim hat ein Faß mit Kvas im Fuhrwerk. Ich werde zu ihm gehen. Zum Faulgraben. Das ist ganz nah ... Und wenn er noch gar nicht dorthin gefahren ist, brav unter der Eiche steht? Dann muß ich auf ihn warten ... Eine Hoffnung, immerhin, nicht so schlimm. Hauptsache — dort ist Wasser. Viel trinken.«

Er erhob sich von den Knien, blickte sich um, und nachdem er sich nach der Sonne orientiert hatte, welche bereits nicht mehr so warm schien wie am Morgen, wandte er sich nach links.

»Den Wolf werde ich später schon finden«, dachte er und prägte sich die Stelle ein. — »Da noch eine Lichtung, dort die umgestürzte Birke. Ich werde es finden mit Akim, es wird alle umwerfen vor Erstaunen ...

Der Arm tat weh, das Blut hörte nicht auf durchzu­sickern. Purpurrote Tropfen quollen aus dem Verbande, funkelten noch kurz in der Sonne, bevor sie hinabfielen, ins Gras, auf die Hosen, auf die Stiefel.

Roman hielt sich beim Gehen den Arm, versuchte dabei, nicht auf den Schmerz zu achten.

Der sonnendurchflutete Birkenwald trat erhaben und ohne Hast vor seinen Schritten auseinander. In der Höhe zwitscherten die Vögel, Heuschrecken erwachten im Grase der Lichtungen zum Leben. Alles war freudig, hell, grün, als sei nichts geschehen. »Sieh an, wie schön.« Roman lächelte müde, war bemüht seinen Gang nicht zu verlangsamen.

 (Vladimir Sorokin, Roman, Haffmans Zürich 1995, Seiten 288 bis 294)

 

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Guten Tag
Ich gelang über die Google Suchmaschine per Zufall auf ihre Seite, dort fand
ich dann den Text mit Roman und dem Wolf, ich habe ihn gelesen und ich
wusste nicht, wie ich reagieren sollte, enttäuscht, verärgert, gar wütend,
ich wusste es nicht. Doch ich dachte, ich müsse demjenigen dem diese
Homepage gehört einfach schreiben. Es geht um den Inhalt der Geschichte, ich
kann einfach nicht verstehen, wie jemand so etwas schreiben kann, geschweige
denn veröffentlichen kann. Die Geschichte von Roman der da durch den Wald
geht, auf den Wolf trifft, und es so abscheulich findet, das der Wolf damit
beschäftigt ist ein junges Tier zu fressen, dass er den Wolf angreift und
umbringt. Wenn er von dem Wolf angegriffen worden wäre und ihn dann getötet
hätte, dann wäre es noch verständlich. Obwohl auch das sehr unrealistisch
wäre, weil Wölfe viel zu scheue Tiere sind, um sich Menschen zu nähern.
Ebenso ist es unlogisch das der Wolf alleine ist, es gibt zwar immer wieder
Einzelgänger unter denn Wölfen doch normalerweise leben Wölfe in großen
Rudeln, und wenn der Wolf der in der Geschichte vorkommt tatsächlich ein
Einzelgänger gewesen wäre, wäre es sehr unlogisch das er ein so großes Tier
erlegt hätte. Der Wolf hat das Tier getötet weil er töten muss, denn
ansonsten stirbt er, weil er verhungert. Roman hat den Wolf jedoch grundlos
ermordet und ist danach auch noch stolz darauf, ich finde so etwas
psychopatisch, krank, ekelhaft, ich finde solche Geschichten sollte man
vernichten, man zieht Dinge (hier den Wolf) in den Dreck die sich nicht
einmal wehren können, zudem ist der Wolf ist gar nicht solch ein böses,
schreckliches, grauenhaftes Tier wie man immer meint!!! So, ich denke ich
habe für das erste genug gesagt.

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