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Hubertus Busche,
Leibniz’ Weg ins perspektivische Universum.
Eine Harmonie im Zeitalter der Berechnung,

Hamburg 1997

 

ders.,
Das Leben der Lebendigen.
Hegels
politisch-religiöse Begründung der Philosophie freier Verbundenheit
in seinen frühen Manuskripten.
Hegel-Studien Beiheft 31,
Bonn 1987

ders.,
Was ist keine Fiktion?
Zeitlichkeit als Wurzel der imaginären Verfaßtheit alles empirischen Bewußtseins in
Vaihinger
s Philosophie des Als Ob,
in: Busche, Heffernan, Lohmar (Hrsg.),
Bewußtsein und Zeitlichkeit.
Ein Problemschnitt durch die Philosophie der Neuzeit,
Würzburg 1999

 

Die Philosophie von Leibniz (1646–1716) genießt deshalb ein ungeschmälertes Interesse, weil sie einerseits einen erkenntnistheoretischen und ontologischen Entwurf ausbreitet, der das Individuum und die Vielfältigkeiten in ihr Recht setzt wie keine andere vor & nach ihr, andererseits die metaphysischen Geltungsansprüche, die gewöhnlicherweise eben gegen das Individuelle zielen, als Gier, will heißen hemmungslosen Voluntarismus und mitnichten als dünne, falsche und verzeihliche „Idee“ sozusagen im eigenen Vollzug enthüllt. Das Insrechtsetzen der Vielfältigkeiten ist deswegen von außerordentlicher Bedeutung, weil in diesem Kategorienverhältnis – im Begriffsfeld der Vielfältigkeiten – normativ festgelegt ist, wie dem Nichtangepassten, Unvollkommenen oder Fremden begegnet wird; normativ sei es als Ausdruck der realen Verhältnisse oder einer programmatischen Praxis. Doch so interessant dieses historische Gebilde im 20. Jahrhundert geblieben ist, so schwierig ist die Orientierung in ihm, weil es in einem unüberschaubaren Zettelkasten, in dem neben den genuin philosophischen mehr noch materiale Arbeiten der disparatesten Wissenschaften den Ton angeben, eher gefangen brachliegt als zur produktiven Lektüre bereitstünde. Neben der Vielzahl von Zeitschriftenbeiträgen (inklusive Rezensionen und Passagen aus Briefwechseln) wurde nur weniges zeitlebens von Leibniz als umfassender Text oder als Buch konzipiert und veröffentlicht, und der Charakter dieser Werke, der das Gefüge des Zettelkastens in der kleinen Form wiederholt, also sich selbst als Text ins Unlesbare und Ungenießbare verzettelt, lässt diese für uns ungelenken Schriftstücke, von denen mindestens die Theodizee Berühmtheit erlangte, mehr als Finte erscheinen denn als Mitteilung, die eine Erkenntnis zu transferieren hätte. Auch der entschlackte, entbarockisierte Text der Monadologie, der früh nach Leibniz’ Tod veröffentlicht wurde, vergräbt unter Subtilitäten zu vieles, als dass er zum entgültigen Vermächtnis des Philosophen dessen Denkwege und Erkenntnisziele befriedigend deutlich begreifen ließe. Im Gegenteil. Seine scheinbare Griffigkeit, die im Eingangsstatement zum Ausdruck kommt und die einen nicht wenig ins Staunen verführt, verlangt bei nüchterner Betrachtung nach einer aktiven Deutung, die weniger das philosophische Subjekt der Gegenwart sich als Maß nimmt, sondern die frühen Studien des philosophischen Autors selbst.

Und eben die frühen Studien und Entwürfe im Hinblick auf ein einheitliches Leibnizprogramm oder -system darzustellen, ist das Ziel des beeindruckenden großen Werkes von Hubertus Busche über diesen eigentümlichen monumentalen und doch so zerbröselten Philosophen. Im Vordergrund der Bewunderung liegt die sprachlich-stilistische Souveränität, die auch über ausgeweitete Passagen der Darstellung und Dokumentation ihre Ruhe bewahrt und trotz der Fülle an Materialien nie in bloßes Aufzählen abgleitet – allerdings fällt es einem spätestens ab Seite 366 auf, kaum je so viele Definitionen auf einem Haufen verarbeitet haben zu müssen (und desto mehr gehen sie auf den Geist, wenn es nur Lappalien betrifft). Vielleicht darf man nichtsdestotrotz in der lobenden Vollmundigkeit so weit gehen und sagen, es gelingt dem Autor das Kunststück, selbst demjenigen Leser, der sich nur unwillig mit lateinischen Texten abquält, mit der Zeit auch die Phrasen in Latein, die auf jeder Seite nicht wenigen Sätzen den Lesewind aus den Segeln nehmen, zur bewussten Lektüre anzuempfehlen.

So stark einen die Bewunderung an den Text fesselt, so stark sind auch die abwehrenden Gefühle, die es ratsam erscheinen lassen, dem Werk mit einem entschiedenen Zweifel zu begegnen. Die These Busches, die als falsch zu deklarieren wäre, findet sich denn auch schon früh in der Einleitung und versteht sich folglich als grundlegend: „Daß Leibniz diese ‚metaphysischen Punkte’, die er ‚Monaden’ oder ‚ursprüngliche Kräfte’ nennt, als expressive Lichtsphären auffaßt, daß somit seine esoterische Philosophie eine Metaphysik des unsichtbaren, nur in seinen körperlichen Phänomenen sich darstellenden Lichts ist, blieb bisher unbekannt. Unerkannt blieb auch, daß seinem Theologumenon vom Durchdrungenwerden des Reichs der Macht durch das Reich der Weisheit die physikalische Hypothese zugrunde liegt, nach welcher der mundus intelligibilis beseelter Ätherpunkte überall durch den mundus sensibilis der irdischen Materie hindurchströmt.“ Falsch an der These ist nicht ihr Gehalt, sondern ihre breite Darstellung, die sie als notwendige der Leibnizischen Philosophie begreiflich machen will. Dadurch wird Leibniz in eine Ecke der Esoterik abgedrängt, die wohl seit den Anfängen der Rezeption seiner Werke immer wieder zur Sprache kam, aber doch nie Überhand nehmen konnte. Obwohl eingestandenermaßen der triviale Zusammenhang damit besteht, dass diese Philosophie vor dem 20. Jahrhundert nie richtig hat Boden finden können, ist dies doch nicht der ausschlaggebende Grund, denn in den vielfältigen Strömungen des Irrationalismus hätte es genügend Gelegenheiten gegeben, hier anzuknüpfen – wenn denn eben eine wesentliche Beziehung zwischen dem Werk als Ganzem und den obskuren Bemerkungen bestehen würde.

Das Falsche der Darstellung zeigt sich auf zwei nichtparallelen Ebenen, a) auf derjenigen des Verfahrens, das als äußerst fleißige Buchhaltung zu charakterisieren wäre, die um den Zweck ihrer Arbeit sich nur wenig kümmert und b) auf derjenigen einer Grundintention, die das philosophische Gebilde nicht als Rätsel versteht, sondern als einen Gesamtkomplex, der solchermaßen weniger interessiert als seine Teilchen, die der eigenen Meinung nach offenbar restlos demystifziert in den Griff zu bekommen wären.

a) Über ein spielerisches Flair des Autors ist nichts bekannt. Aber es mutet als intendierte und selbstbezichtigende Ironie an, wenn auf einer Seite, als die Lektüre mulmig zu werden droht, weil sie unter dem Fleiß schwitzt, Busche über den Philosophen schreibt: „Leibniz bringt seine Geringschätzung des stupiden Mönchsfleißes ebenso zum Ausdruck wie seine Hochschätzung der wenigen Großen des Mittelalters.“ (189) So bewundernswert Busches stupender Fleiß das frühe Werk von Leibniz in alle Winkel hinein ausleuchtet, so sehr nimmt die Haltung des gewissenhaften, korrekten Buchhalters stupid dem Text alles Rätselhafte. Man möchte sagen, er vergräbt es in einer ausladenden, nahezu bedrohlichen Gewissenhaftigkeit, die dem Leser ein schlechtes Gewissen aufzwingt, weil er Zusammenhänge durch Konzentrationsschwächen aus den Augen verliert (falls die Lektüre einen tatsächlich außer Fassung und außer Kurs bringen sollte, sei es ausgeplaudert, dass Seite 219 erlaubt, den Ablauf des Textes wieder distanziert zu betrachten). Es geschieht diese Fleißarbeit in schier absoluter, schier steriler Affirmation, die die Zügel der Textstücke fest im Griff hält und einzig solche Zusatzerwägungen sich zugesteht, in denen die Sekundärliteratur souverän, also erbarmungslos ausgemistet wird – in denen die Buchhaltung sich noch einmal potenziert. Man hat bis Seite 242 auszuharren, um die Bestätigung zu erhalten, dass der Autor einer von uns ist – erst hier zeigt er Bereitschaft, Kritik gegen Leibniz in Erwägung zu ziehen (selbstredend bezieht sie sich auf die „Überzeugungskraft von Beweisverfahren bei [...] letzten Fragen“). Die These, die doch viel kritisches Abwägen nicht nur bedingt, sondern auch ermöglichen würde, erscheint in den Analysestücken nur aufgesetzt; obwohl sie etwas Strenges behauptet, ist dasselbe in ihnen nicht vermittelt. Sie bleibt bis am Schluss eine bloße Behauptung, die beim Sprung über das Weitere der Hypothese zur Theorie stolpert und zu früh dem Kräfteverschleiß, durch eine large Konzeption bedingt, nachgibt.

Doch was macht den Service der Präsentation so vieler Texte, die den DurchschnittsphilosophInnen nicht zugänglich sind, den sie also dankbar entgegennehmen, so schwer verdaulich? Woher die Gleichzeitigkeit der Bewunderung und des Widerwillens? Die Crux scheint darin zu liegen, dass die verarbeiteten Texte zu häufig nur Vorarbeiten ohne Verbindlichkeitsanspruch sind. Obzwar es sich um Meinungen einer imposanten Geisteskraft handelt, mangelt es ihnen noch am Charakter der Hypothesen, am Anspruch auf Wahrhaftigkeit, der mögliche Einwände bereits hat parieren können. Bei Einzelfällen wäre dieses Manko nicht von Bedeutung – in einer Masse ausgearbeiteter Meinungsstücke erstickt aber die Erkundungs- und Leselust, und die Pointe von Busches Habilitationsschrift setzt eben gerade die Verarbeitung einer Masse von Textstücken voraus. Im Hegelbuch (s. o.), des Autors eleganter Dissertation, ist die Situation gänzlich anders gelagert, da von den ersten Begriffsdifferenzierungen an der Entwicklungsgang zum Hegelschen Gesamtsystem aufscheint, den zu verfolgen einen auch dann packt, wenn einzelne Stationen abseitig erscheinen; mögen sie noch so verwunderlich dastehen – das Interesse lähmen sie nicht. Weil im Hegelbuch die Kritik von Anfang an präsent ist, entwickelt es in sich eine viel bessere Lesbarkeit. Das Leibniz-Buch ist dann um so viele Grade schwieriger zu lesen, als bei Leibniz die Kontinuität zwischen anfänglichen Einzelfragestellungen und späterer Systemkomplexität noch gar nicht vorhanden ist, wie sie erst bei Hegel tüchtig zum Zuge kommt. Denn es sind schon die einzelnen frühen Fragen des jüngeren so angelegt, dass sie später zwingend als Vermittlungsmomente des Systems erscheinen.

b) Begrifflich ließe sich die Kritik vielleicht so verdeutlichen, dass ebenso wie es gelingt, die ars inveniendi & die ars combinatoria zu demystifizieren, weil sie doch nur Vorformen ausgeweiteter formaler und materialer Regel- und Ordnungssysteme sind, an die man sich im digitalen Zeitalter noch so gerne gewöhnt, es im gleichen Ausmaß missrät, die eigentliche Monadologie als das eigentliche Lehrstück Leibnizens durchsichtig in Erinnerung zu rufen, weil es den Autor zuweilen unangenehm frommt, dessen Gesamtphilosophie mit Privatistisch-Enigmatischem auszustatten, folglich für uns mit unnötig Rätselhaftem aufzuladen – unnötig deswegen, weil keine Anzeichen vorliegen, die es im Kontext unserer Gegenwart noch deuten ließe. Um es auf den Begriff zu bringen: hier handelt es sich nicht mehr um den Rätselcharakter eines Gebildes, sondern um die Konstruktion von Geheimnissen – um Geheimnistuerei. Als ob Leibniz einem Privatwissen gefrönt hätte in der Form, wie solches sich zeigt in den sozialen Räumen des Aberglaubens und der Esoterik. Die letzten Sätze des Werkes sind zwar als selbstironische Paukenschläge zu verstehen, und doch fassen sie eine Grundstimmung bekenntnishaft zusammen: „Leibniz hinterließ [der Nachwelt] vielleicht auch deshalb eine so vieldeutige ‚Monadenlehre’, weil er seinen dunklen ‚Traum’ vom Licht, der seinen scharfen Intellekt beflügelte, alleine tragen wollte. Der theosophische Blick in die Kristallkugel, in dem die zwischenzeitlich verstummte Natur ihre sprechende Tiefe zurückgewann, schien ihm zuletzt nicht mehr mitteilbar.“ Hier wird der gute Wille aufgegeben, die deutende, auf den Begriff zielende Auflösungsarbeit weiterzuführen. Nicht weil man dem Ziel mittlerweile nahegekommen wäre, sondern weil der Wille das Ziel sehr früh schon sich aus den Sinnen schlug und ein spezifisches Interesse nie sich entwickeln ließ.

Busches Haltung wäre so zu charakterisieren, dass er weder Rätsel zu entwirren sucht noch sich solchen stellen will; während der langen Arbeit tut er so, als ob da gar keines wäre. Aber es ist das Rätsel und das Rätselhafte, dem man aktiv zu Gestalt verhelfen muss, weil nur so die Gewalt in der Welt, die wesentlich Rätsel ist, zu Bewusstsein kommt. Man muss so weit gehen zu sagen, dass es zur Pflicht des kritischen Bewusstseins gehört, das Rätselhafte, das meistens als Widerspruch erscheint, nicht zu verleugnen. So wenig das philosophische Rätsel mit dem Geheimnis zu tun hat, so wenig auch mit dem Nachweis logischer Fehlschlüsse. Die Probleme, die von den LogikerInnen beziehungsweise mit logischen Verfahren gelöst werden, sind nur selten zentral für die Philosophie, nie für die philosophische Arbeit. Denn die Gewalt, die hinter dem Rätselhaften genuin philosophischer Fragestellungen steckt, kann nicht mit den Instrumenten der Logik gelöst werden, sondern geschieht innerhalb eines wahrnehmbaren Horizonts – dem gemeinsamen Feld der Ästhetik und Praxis – auf dem das widersprüchlich Einzelne nicht wegzudenken ist, weil es zumindest methodisch als Widerspruch hinzugedacht wird, als Moment der kritischen Infragestellung. Nicht dass das Rätsel die Gewalt selbst wäre in der Philosophie; sondern die Gewalt produziert als willkürlichen aber schematistisch-systematischen Effekt (wie die Gegenstände die Sprachzeichen) das Rätselhafte in den philosophischen Gebilden – wie dieselbe Gewalt im Mythos die ewige Frage nach dem Ursprung provoziert. Anders als hier die Frage sillsteht und die Gewalt selbst nicht schiere Dimensionen anzunehmen braucht besteht in der Philosophie ein Zusammenhang zwischen der historischen Gewalt und dem Wandel von Rätselfragen in der Geschichte der Philosophie: Ihr Ende, das in ihrer Intention angelegt ist, setzt das Befrieden der Gewalt voraus. Wo die Philosophie den Charakter der Lehre annimmt, und sei es den der Sonntagsschule des Befriedens von Gewalt, verzichtet sie auf dieses Ziel.

Indem das philosophische Gebilde – die Philosophie von Leibniz im ganzen – nicht als Rätsel, sondern als historisches Objekt begriffen wird, in das sukzessive und Stück für Stück Licht hineingetragen wird (durch welches Prozedere es sich als Ganzes klären soll), wird ihm der Status bestritten, der allein es mit der Geschichte der Philosophie im ganzen liiert. Trotz den notwendigen Bezügen, in denen diese Philosophie entstanden ist – zu Descartes, zu den Alten, zu den Griechen – zeigt sie sich als etwas Singuläres und als eine quasiempirische Gegebenheit, die soweit sich entziffern lässt wie sich die Strukturgegebenheiten eines Naturphänomens miteinander in Beziehung setzen lassen. Wird das interne Band der Philosophie zerstückelt, entfällt der Funktionszusammenhang von Geschichte, Gesellschaft und Theorie, also die genuin philosophische Behauptung, was immer geschieht stünde in einem Bezug zur Theorie (sei es im Sinne der Intelligibilität post festum oder der normativen Konzeptualität). Was in der philosophischen Arbeit zu entschlüsseln wäre, ist die ethnozentrische Sonderstellung der Theorie wie auch, und das ist mindestens so wichtig, dass in jedem Teil dieses Gesamtkomplexes vom Charakter dieses Gesamtzusammenhanges etwas enthalten ist. Was rätselhaft daran haftet, ist nur allzu klar: dass die Vernunft noch sosehr sich entfalten und noch sosehr sich realisieren kann – die Gewalt, der sie mit jeder Regung und Verlebendigung widerstrebt, diese Gewalt zähmt sie mit den historisch-gesellschaftlich konstituierten Mitteln nicht im geringsten. Im Gegenteil. Wo ihr Name angerufen wird (die USA in Vietnam, die Franzosen in Rwanda, die Nato in Jugoslawien, global die Industrie als waffenschaffende Friedenssicherung) schaut man blöde zu, wie Masseninstantfriedhöfe ausgehoben werden.

Da es nur in den seltensten Fällen gelingt, Antworten zu bekommen auf die geläufigen unvermittelten Fragen der Kritik, was jemanden dazu gebracht hat, genau dieses Bild zu benutzen und kein anderes, dieses Argument einzusetzen, an diesem Punkt die Kritik abzuwehren etc., müssen die einzelnen fragwürdigen Elemente in immer neuen Konstellationen angeordnet werden, ja selbst in solche, die über die Einzeldisziplinen hinausgreifen (Leibniz wäre mit Monteverdi zu vergleichen, bei dem ebenso das empirische Individuum ins Recht gesetzt wird wie diese Haltung im geschichtlichen Fortgang der musikalischen Ästhetik in etwas anderes, formal Eleganteres, überführt wurde). Selbst auf diese Weise gelangt man nicht zu klaren Antworten. Aber es erwächst daraus die methodische Möglichkeit, Bezüge im Realen wahrzunehmen, die sonst nur als Abfall oder als Nebenprodukt der Theorie beziehungsweise der Werke gelten würden. Im Zwang, der zu ihnen führt, wird so mehr als nur Logisches freigesetzt, letztlich alles das, was die Gewalt im Empirischen unterstützt oder provoziert, das, wovor der Mensch im Empirischen wie hilflos erscheint.

Natürlich ist die Haltung Busches, einem Gebilde nicht als Rätsel, sondern nüchtern als Objekt rein der analytischen Vernunft zu begegnen, auch die bloße Folge der wissenschaftlich unantastbaren Methode, die Masse vorgefundener, nachgelassener Textstücke korrekt wiederzugeben, und doch wäre sie selbst nicht so auffällig als Haltung auf dem Werk lastend, wenn sie nicht auch dadurch zustande käme, bewusst die kritischen Fragen auszublenden: Wieso hat Leibniz auf so wenig selbstkritische Weise metaphysische Gehalte als Argumente eingesetzt? Wieso hat er seine zweifelnden, d. h. Argumente suchenden Diskussionspartner auf eine so fragwürdige Weise mundtot zu machen versucht? Auch wenn solche Fragen zu keiner abschließenden Antwort führen, erlauben sie die Aufrechterhaltung einer gewissen Spannung im Text, die eminent in dem Verhältnis zwischen Philosophie und Realem liegt – und die bei Busche gänzlich entladen ist. So wird der Positivist Busche selbst von dem diktiert, was er ignoriert, der Metaphysik, weil er mehr über das Einzelne ein Urteil fällen will als es als Rätsel in einem größeren Zusammen erscheinen zu lassen, in dem es sich deuten ließe oder sich selbst – selbstkritisch – deuten könnte. Von da her ist es kein Zufall mehr, das Esoterische, Geheimnishafte in der Philosophie von Leibniz hervorheben zu wollen.

Busches vornehme Korrektheit schmeckt eigenartig nach politischem Konservativismus. In den Arbeiten über Hegel und Leibniz gerät dies immanent nicht besonders zur Last. Um so mehr erscheint der Text über Vaihinger (s. o.) hilflos, weil die Lösung des Problems, in das der Philosoph der Jahrhundertwende sich hineinmanövrierte, eben in der gesellschaftlichen Praxis zu suchen gewesen wäre und auch mit den aktuelleren logischen Argumentationen nicht, wie Busche zu unternehmen ansetzt, akzeptabler zu positionieren ist. Gerade weil Busche mit dem Text über Vaihinger sich durchs auffällig Unpolitische politisch wohl mehr als ihm geheuer ist exponiert, wird der, wie oben kleinsträumig zu charakterisieren versucht: demystifizierte Leibniz einer der Rechten, der Bewunderer der gewalttätigen Ökonomie. Hier geht das korrekte Aufsummieren technisch-technologischen Einzelwissens mit der Aufforderung zur Steigerung der Durchsetzungskraft des Einzelwillens und der haarstreubenden Ignoranz der Gewalt, wie sie global und ubiquitär – in allen sozialen Räumen – zuschlägt, Hand in Hand. (Nochmals: nicht dass die Gewalt zu zähmen wäre, aber man muss sie in den Bezug setzen zu den scheinbar beherrschbaren Einzelprozessuren, weil sie unter diesen vereinzelten mit Bestimmtheit – und das ist eine genuin politische Aussage – nicht zu beherrschen ist.) Dass Leibniz auf diese scheinbar so unpolitische Weise zu einem Philosophen der Rechten wird, ist schlimm genug, aber nur Ausdruck einer transitorischen Phase der Geschichte. Der schwerer lastende Fehler dieser Art wissenschaftlicher Philosophie besteht jenseits des Politischen darin, das Metaphysische unkenntlich zu machen: die Gier zu urteilen, die Gier mehr beurteilen und mehr verurteilen zu wollen als angebracht wäre, die Philosophie als Ausdruck des Eurozentrismus. Weil ihre Sätze nun zu einem erweiterten Rahmen einer Ordnung von falsch und richtig gehören, wird der Bereich der Metaphysik selbst eingenebelt, der zutiefst doch in der Korrespondenz mit dem Rätsel der Gewalt gesehen werden muss.

Und dennoch. Da Busche allenthalben mit Einsichten, Präzisierungen und werkimmanenten wie sekundärtextuellen Bezugsherstellungen glänzt, gibt man das Buch nur ungern in die Bibliothek zurück. Dieses große Werk enthält eine Überfülle an Materialien, die eine erste (und zweite) Lektüre kaum zu registrieren vermag, geschweige denn durchzuarbeiten.

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