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John Felstiner,
Paul Celan. Eine Biographie

München 1997

Weil das dichterische Wort nicht den Schematismen der diskursiven Vernunft folgt, die es erlauben, etwas gleichzeitig zu setzen und in seinem Begründungszusammenhang kenntlich zu machen, nahm es in der Moderne allgemein eine schwierige, selbständige Gestalt an, sobald der Rhythmus des schematisierten Verses und das Mittel der Wiederholung durch den Reim abgestreift waren, an die als Krücken es solange gebunden war. Kein Instrument, an das quasi autoritätsgläubig das Publikum sich gewöhnen könnte, hilft nun, in den Wortgefügen gedanklichen Vorstellungen zum Ausdruck zu verhelfen, beziehen sie sich auf ein geschichtlich Gegebenes, ein Objekt der Natur oder - ästhetizistisch - die Sprache selbst.

Die allgemeine Schwierigkeit der Dichtkunst nimmt bei Paul Celan ungeheuerliche Ausmaße an, weil nur eine einzige, unvorstellbare Vorstellung im Zentrum steht, auf die jedes Sprachmoment sich beziehen soll. (Es tut nichts zur Sache, wenn wir als nicht dichterische Rezipienten sie für uns und unsere Beschränktheit benennen als die Judenverfolgung, als den Faschismus, als Gott, als die menschliche Existenz.) Dass die Strenge des künstlerischen Programms, alles vom Gehalt, vom Wahrheitsgehalt dieser Vorstellung abhängig zu machen, verkannt wurde, erstaunt nicht. Weil ihre in der Geschichte stehende Wirklichkeit unvorstellbar ist, nichtsdestotrotz vom autoritären Menschen weitergelebt wird, hat man in den Werken Celans seit der Todesfuge einen fahrlässigen Ästhetizismus, in dem Sprache nur Sprache ausdrückt, sehen wollen.

In diese äußerste Schwierigkeit vorzudringen vermag der einzelne nur selten, weil die Lockungen des Ästhetizismusvorwurfes ihn hilflos auf der unendlichen Weite der Wortgefüge umherdriften lassen. John Felstiners chronologisch angeordneten Texte über Celans Gedichte wirken wie die früh schon aufmunternd rettende Erscheinung des festen Küstenlandes. Indem viele Wortanklänge sei es auf Biographisches, auf gelesene Bücher, auf historische Ereignisse und jüdische wie auch christliche Bibelfragen bezogen werden, stehen die Gedichte zwar nicht als gelöste Rätsel da, aber doch als Gestalten, deren Konturen wie teilweise auch innere Strukturen nunmehr differenziert wahrnehmbar werden. Und wahrnehmen heißt bei Celan aushalten. Denn da keine instrumentelle Krücke das Gebilde zu tragen verhelfen darf, wird das Vorgegebene, das für uns so Unbenennbare, in der Weise zum Erscheinen gebracht, dass es immer schon und immer nur mit seinem extremsten Widerpart, der so unbenennbar ist wie es selbst, gleichzeitig erscheint. Wenn Felstiners Buch mit Erklärungen auch an Grenzen stößt, so lernt man hier doch mit anwachsendem Interesse, diese so schwierige Gleichzeitigkeit widersprüchlicher Bilder als feste Strukturmomente, die mit der Wirklichkeit korrespondieren, auszuhalten.

Obzwar die Biographie ganz im Zeichen des Werks steht und der private Alltag ausgeklammert bleibt, leistet sich Felstiner doch einmal eine unangebrachte Gereiztheit, als Adorno, wie er formuliert, "endlich" (299) das Diktum wiederrief, nach Auschwitz noch Gedichte zu schreiben sei barbarisch. Nicht die Nervosität gegenüber Adorno ist das Problem, sondern dass sie da ihre Zügel frei schießen lässt, wo es um eine objektive Schwierigkeit geht, die Adorno wohl verspürt hat, deren Ungelöstheit man ihm aber nicht in die Schuhe schieben darf. Denn dass auf Adornos ureigenstem Feld weitergearbeitet werden soll, auf dem der Musik, und die Dichtung, die eh schon alles zurücknimmt, auch sich selbst zurücknehmen soll, ist deswegen so hart postulierbar (wenigstens in jenem gewissen Zeitrahmen, der von uns nicht verabsolutiert werden darf), weil im Gegensatz zur Dichtung alles in der Musik nur dadurch auf die Geschichte verweist, dass es auf die Geschichte der Musik sich bezieht. Dieses Kritikpotential fehlt im Gedicht. Weil seinem materiellen Hintergrund so viel historische Festigkeit abgeht, erwächst in der rezeptiven Neuschöpfung, die seinem Gehalt nachspürt, schnell das Gefühl verklärender Schönheit, wenn nur irgendetwas vom Sinn mit der Komplexität seiner Gesamtstruktur in Bezug gesetzt werden kann. Völlig ungeschützt evoziert das Gedicht eine Vorstellung, wo das musikalische Werk immer zugleich auch sagt, nicht ein anderes zu sein, wodurch es, nicht wenig abgesichert, im Zusammenhang der früheren steht. Der Tod Paul Celans, das Äußerste seiner Isolation, hat damit etwas zu tun.

Zwei Tage nach Iannis Xenakis frühem, auch

der politischen Marter geschuldetem Tod