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Inhalt

Thomas Metzinger,

Subjekt und Selbstmodell. Die Perspektivität phänomenalen Bewusstseins vor dem Hintergrund einer naturalistischen Theorie mentaler Repräsentation,

Paderborn et al. 1993

Als Kommentar zu den neuen neuronalen Disziplinen sehr aufschlussreich. Leider extrem schlecht geschrieben, statt Relativsätze stehen unüberblickbare Ketten von gerundiven Appositionen.

Der Begriff des intentionalen Bewusstseins ist metaphysisch. (127f)

Ein empirisch testbarer Begriff wäre: Informationsverarbeitung mittels mentaler Modelle. Die mentalen Modelle werden in verschiedenen Formaten abgespeichert (Farbe, Gefühl, Ausdehnung, Zeit etc.); sie führen zu analogem Wissen und beruhen auf dem Prinzip der Ähnlichkeit.

Nur die propositionalen Repräsentate führen zu digitalem Wissen, das auf dem Prinzip der Wahrheit beruht.

Der Wert des Buches liegt eindeutig darin, dass eine Geisttheorie angestrebt wird, die nicht rigoros habermasisch das Ganze vom propositionalen Einzelgehalt her aufzäumt. Das Subjekt ist ein Effekt biophysischer Prozesse: die Zentrierung der mentalen Repräsentate auf das Gesamtsystem selbst.

Kritik: Unangesprochen werden die Adornoschen Kategorien Leid und Aufmerksamkeit/Anstrengung, d. h. alles, was im Raum einer Geschichtsphilosophie zu stehen hätte. Das Subjekt wird zusehr thematistisch verstanden, so dass das kritische Potential ausgelöscht zu werden droht.

 

Thomas Metzinger (Hrsg.),
Bewusstsein. Beiträge aus der Gegenwartsphilosophie,

Paderborn et. al. 1995

P. Bieri, R. v. Galick, M. Tye, K. Wilkes, M. Kurthen, G. Rey, C. McGinn, E. Rahnan, R. Grush, P. S. Churchland, M. Nida-Rümelin, W. G. Lycan, D. Papinean, J. C. Prine, D. Raffman, D. J. Chalmers, G. Güzeldere, D. M. Rosenthal, N. Nelkin, O. Flanagan, N. Block, T. Burge, R. Kirk, A. Beckermann, D. Dennett, D. Birnbacher

Die Empfindung, dass die analytische Philosophie einer weltabgewandten, geschichtsnaiven Neuscholastik huldigt, ist gegenüber den Praktiken der „analytisch-korrekten“ Argumentation supervenient und hat folglich als unpolemische Proposition hingenommen zu werden.

In dieser Anhäufung von analytischen Positionen zeigt sich, wie die Analytiker keineswegs gewillt sind, auf bereits geleistete Argumentationen, die u. a. auch aus ihren Kreisen stammen, einzugehen. Das unbeholfene Abschreiben und aneinander Vorbeischreiben macht die Lektüre klebrig, wenn natürlich auch sich einzelne recht anregende Statements darunter befinden.

 

Meine eigene Position (1994):

Naturdialektik des Bewusstseins

  1. Das Bewusstsein braucht nichts zu sein, das zu physikalisch-physiologischen Zuständen hinzutritt (Ablehnung der Supervenienzthese).
  2. In der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft erkundet Kant den vorwissenschaftlichen Boden der transzendentalen Kategorien als nichtbegriffliche Vermögensleistungen: Synthesis der Apprehension in der Anschauung, Synthesis der Reproduktion in der Einbildung, Synthesis der Rekognition im Begriffe.
  3. Kant thematisiert auf dem Terrain der subjektiven Sinnlichkeit, das heißt der Biologie, die diversen Arten der fokussierenden Einheit.
  4. Es ist heute die These zu formulieren, dass zwischen der Wahrnehmungsleistung von Mensch und Tier nur ein quantitativer Unterschied besteht.
  5. Als ästhetisch urteilende Kraft des differenzierenden Wahrnehmens, das noch vor aller begrifflichen Deutung stattfindet, ist das phänomenale und eigentlich subjektive Bewusstsein immer schon im Funktionieren der Gehirnapparatur fundiert.
  6. Es ist ausschließlich der quantitative Unterschied, der evolutionär die neue Qualität des Bewusstseins hervorbrachte.
  7. Bewusstseinsanaloge neuronale Artefakte gelingen dann, wenn visuelle und audiophone Sensoren gleichzeitig permanent in 30 Millisekundenintervallen den Fokus neu einstellen und das Aufgenommene abspeichern können. Die erforderlichen Leistungen, die das menschliche Ohr und Auge erbringen, sind so riesig, dass eine „Maschine“, die sie vollbringen könnte, nur mit eigenem Stoffwechsel denkbar scheint – als Artefakt unmöglich.

 

Zur Neurologie

26. 10. 1997

Die Diskussionen um die Neuronalen Netze erscheinen deswegen so konfus, weil auch in der Erkenntnistheorie, die doch auf ein Allgemeines zielt, zwischen den mikro-, meso- und makrosozialen Wirkungszusammenhängen unterschieden werden muss. Die einzelne Forschungstätigkeit sowie Erkenntnis als Ereignis und diskursive Kritik an Theorien gehören in den mikrosozialen Wirkungszusammenhang, innerhalb dessen zum Bereich der Rationalität. Hier spricht nichts dagegen, die genannten Vorgänge positivistisch, rationalistisch, physikalistisch oder neuronal zu beschreiben beziehungsweise die rationalen Abläufe in neuronalen zu fundieren. Umgekehrt gehört die Kategorie des Geistes nicht hierher, sondern ist Bestandteil des kulturellen oder makrosozialen Wirkungsbereichs. Dieser ist keineswegs jenseits der Problematik der Erkenntnistheorie, setzt allerdings in der Form von Wissenschafts-, Kunst-, Kultur- und Ideologiekritik ein gänzlich anders strukturiertes Vokabular voraus als Problembeschreibungen in der Mikrosozialität, eins nämlich, das auf historische Begriffsablagerungen zurückgreift.

Weil die Kategorie der Vermittlung zutiefst gesellschaftlich formiert ist, wird es nie eine allgemeine Erkenntnistheorie geben, die ein Kontinuum zwischen der primitiven Wahrnehmung und dem Begreifen eines Musikstücks zu beschreiben vermag. Die Vermittlung von Erkenntnistheorien auf verschiedenen Niveaus ist nicht zuletzt aber deswegen anzustreben, weil zentrale Momente aus ihnen wie das Ich und der freie Wille auf allen figurieren. In den einzelnen Theorien darf nicht der Anschein erweckt werden, sie sei ja schon geleistet, indem einzelne Momente wie etwa Geist als Begriff der Religion, das Ich als Seele oder sonstige unsterbliche Substanz etc. explizit ausgeschlossen werden. Neuronale Erkenntnistheorie und Ideologiekritik stehen zueinander in einem glitschigen Verhältnis: auf keine Seite kann allein gesetzt werden.

Dem Statement, dass außerhalb des deterministischen Regelwissens erkannt nur das ist, was sich geschichtsphilosophisch situieren ließ, begegnen die Empiriker je länger je mehr mit der Behauptung, dass a) die Phänomene durch dieses Verfahren zu sehr gefiltert würden und b) die Kritik, mit welcher die zu deutenden Gebilde juxtaposiert werden, a priori ideologisch getrübt sei. Punkt a) erlaubt es ihnen, zum schönen Schein auch mal linke Positionen einzunehmen und zu behaupten, die geschichtsphilosophische Deutung paktiere mit dem Ethnozentrismus des Abendlandes, der alles Randständige überrolle – Punkt b) erlaubt es ihnen, sich dumm zu stellen und schulterzuckend dem Furz zu frönen, die geschichtsphilosophischen Deutungen seien wenn nicht zu abgehoben dann doch zu verworren und zu kompliziert. Man muss die gegenseitigen Aversionen ernst nehmen, da sie auch außerhalb des polemischen Rahmens Wahres enthalten. Beide Positionen schließen sich zwar aus, doch zumindest für die deutende gilt, dass sie die andere affirmativ-supplementär neben sich zu dulden vermag. Wie das? – In der Tat werden in der deutenden Erkenntnis die Phänomene, wie sie erscheinen beziehungsweise sozial sich ereignen nicht gleichwertig behandelt; sondern es wird einerseits von bereits vorstrukturierten komplexen Gebilden ausgegangen, die einander gegenübergestellt werden, andererseits werden diese nur soweit in Bearbeitung genommen, wie Begriffe dafür sich heranziehen lassen. Begriffsarbeit, wie immer kritisch und historisch gewendet, ist immer die Abstraktion eingelassen, das Bestreben nach Klarheit und Distinktion. Dadurch ist es gegeben, dass Erkenntnis in diesem Verfahren letztlich herausspringt, und dass das Verfahren selbst nie abschließbar ist, eben weil die historische Kritik der Begriffe in der hinzunehmenden Offenheit der Geschichte nicht auf einen letzten Punkt zu bringen ist. Dass ein randständiges Phänomen in einer geschichtsphilosophischen Deutung übergangen wurde – beispielsweise Varèse in der Deutung der Dodekaphonie – gehört dann sofort zur erweiterten und verfeinerten Kritik der Begriffe, die daran anschließend zur Kritik der Sache beziehungsweise der veralteten Erkenntnis sich vergegenständlicht. Auch im dunstigen Bereich von „Kritik“ und „Ideologie“ enthalten die Invektiven der Empiriker ein Stück Wahres. Denn obzwar die Intention des methodologischen Begriffs der Kritik darauf abzielt, die Begriffe der Darstellung aus dem Licht des Ungefähren in das der Klarheit zu ziehen, – also entgegen den gängigen Vorstellungen über Adorno am rationalen Projekt der Identifizierung festzuhalten – entsteht in der Darstellung der Sache eine Situierung der Sache als ein Ganzes, die in nichts anderes führt als einen Zusammenhang, der die ursprüngliche Intention übersteigt; die Begriffe der Musik, der Erziehung, der Ernährung etc. entladen im Gesamtfluss des Zusammenhangs alle Partikularitäten in ihrem Gehalt, die zwecks Verobjektivierung der Erkenntnis, d. h. der Idealisierung weggeschnitten werden mussten. Nicht gänzlich rational steuerbar enthüllt also der Gesamtzusammenhang der kritischen Deutung ein Wissen, das sich den Kernfragen des aktuellen Gesellschaftlichen nicht entzieht. Und es ist eben genau dies, was allen buchhalterischen Empirismen heute abgeht: ihre Fleißwerke auf einen Boden des Relevanten abzustützen.