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Inhalt

Ben Watson,
Frank Zappa - The Negative Dialectics
of Poodle Play,

London 1994

Dem guten dicken Buch droht gleich zu Beginn der Absturz, weil es ein schwieriges Bild zur bloßen Komik abschleift: in einer unüberblickbaren Serie von Metaphern wird zu verstehen gegeben, über Zappa sprechen ließe sich nur, wenn dies begrifflich, also strenger als in Metaphern, geschehe. Ungewollt kommt es dabei zu einem massiven Bannspruch über Teddy, den Bergmenschen. Watson erklärt, dass seine Texte nicht aus einem einzigen Guss entstanden wären, sondern auf altes Material zurückgreifen, weil er eben schon seit 1979 kontinuierlich über Zappa schreibe. Er zitiert eine eigene Passage aus diesem Jahr, in der er programmatisch festhält, zur diskursiven Vermittlung der eigenartigen Zappakunst das Räderwerk der approbierten Vernunft tüchtig im Schwung halten zu wollen, um nicht nur bloße Impressionen aufzutischen oder in einem bloßen l'art pour l'art herumzudümpeln. Im freien Gang vorwärtsfahren, ohne Gänge, ohne Getriebe, ohne Gangschaltung wäre nur talwärts möglich. Vorwärtskommen aber will er: denn das Verharren im geschwätzigen Vorurteil und in der Selbststilisierung des langweiligen Bergmenschen, des, man lese genau, "tedious mountaineer's", verabscheut er. Die apologetische Sprache ist, wie im selben Satz mit einer Referenz auf Adornos und Horkheimers Dialektik der Aufklärung, Aufzeichnung Für Voltaire, festgehalten wird, korrupt, und genau dieses wäre dann auch eine Zappalogie. Soweit die erste Erklärung Watsons zur Unterfütterung seiner Zappa-Darstellung mit Werkmomenten Adornos. Die Fahrlässigkeit und Überrissenheit in den Details dieses methodologischen Bildes sind im Buch die Norm, und es kommt einem zuweilen vor, da würde ein Engländer nicht das Klettern neu erfinden, sondern die äußerste, bis über die Spitze hinausgetriebene Anstrengung in Szene setzen, statt mit einer Kletterausrüstung nunmehr mit einem Bike die klassischen Routen der Engländer um die vorletzte Jahrhundertwende nochmals durchzukeuchen. Obwohl ihm die Mutter offenbar kundigerweise deutsche Texte referiert, kann Watson, der sich so viel neben Marx auch auf Freud stützt, nicht ahnen, dass wir im tedious mountaineer weniger den im begriffslosen Geschwätz verstockten Bergmenschen sehen als vielmehr den leibhaftigen Teddy Wiesengrund Adorno, der sowohl in den Bündner wie in den Walliser Alpen noch so gerne sich selbst als Bergmenschen gefeiert sieht, weil ihm das Äquivoke darin, also das Echohafte, ich, Teddy, der nimmermüde Bergmensch, lustiges Spiel ist, in Wahrheit ein Leben lang der treueste musikalische Jünger Alban Bergs gewesen zu sein. Solche Unstimmigkeiten, in denen keine Schuld und kein Denkfehler zu suchen wären, sind nicht zufällig, sondern ganz das Werk des Untersuchungsgegenstandes, der Dadaistik Zappas, die neben anderen das eine Ziel verfolgt, gegen das Vermittlungsgefüge der Kulturindustrie aufzubegehren und ihrem Einverleibungswahn zu widerstehen. Die Formen, die daraus resultieren, sind zuweilen so aufgetürmt widerspenstig, dass sie nicht nur dem Falschen, sondern auch der gutmütigen Rezeption Widerstand leisten: Es liegen im WEB einige Stellungnahmen von Englischsprachigen vor, die über die Schwierigkeiten des Buches klagen, und Zappa selbst, allerdings der Schwerkranke, dem es vom Autor zumindest partienweise noch vorgelesen werden konnte, stöhnte, immer da den Faden zu verlieren, wo Adorno in den Text mit eingeflochten worden sei.

Folgsam beachtet Watson Adornos Forderung, die Elemente der Kritik eigens dem Objekt zu entnehmen; gleichzeitig scheitert er daran, weil er mehr der Dadaistik Zappas nachkommt als dass er dessen Statements und Kompositionstechniken selbst untersuchte, die von ihr wie besessen sind. Er nimmt Zappas Präsenz, die lebendige, sehr stark beeindruckende permanente Show, für die Sache selbst. Das führt ihn in zwei Schwierigkeiten, dem Substantiellen gegenüber, von dem es doch eben gar nicht viel zu verzehren gäbe, verunsichert dazustehen, das Spielerische andererseits, das Zappa keineswegs überschätzte, unnötig aufzublasen. Zappa litt nicht eigentlich unter einer von vielen AutorInnen beanstandeten Selbstüberschätzung, weil er sein Werk korrekt als Entertainment deklarierte. Seine Mittel sind ausnahmslos die der Unterhaltung, was er provokativ direkt noch 1993 dem Autor klarzumachen versuchte. Sein Werk, sagt Zappa, "is entertainment" - sonst nichts. Allerdings: was ist das für ein Entertainment! Es besteht in so reicher und unerschöpflicher Fülle, dass es uns jetzt erscheinen will wie die durchgestaltete Schönheit der Berglandschaft, die in nichts so Wirkung zeigt wie im Widerstand gegen die Idiotie der Tourismusplaner im besonderen, der Unterhaltungsindustriellen im allgemeinen. Und es enthält Einzelstücke, die auch substantieller Kritik mit Leichtigkeit zu widerstehen vermögen. Hätte Zappa mehr Stücke geschrieben wie "Aybe Sea" (auf Burnt Weeny Sandwich) für Klavier alleine, man würde wohlgesonnener über seine kompositorischen Ambitionen urteilen - es ist ein Wunderding! Die ästhetische Ebene im Ganzen aber, die Watson ohne es durchsichtig machen zu können als das wahre Objektive Zappas begreift, geht, ernst genommen, nicht über Gershwin und Bernstein hinaus. Adorno sagt zwar, die technische Analyse sei wichtiger als die ästhetische Konzeption; er kann das aber nur deswegen behaupten, weil er die Kraft hat, in der Technik selbst des langen und breiten das Ästhetische aufzuweisen. Ohne diese superbe, exzeptionelle kompositorische Begabung ist man darauf angewiesen, in verkürzten ästhetischen Begriffen das Ästhetische klarzustellen. Es bleibt dann diskursiv das Ästhetische der Bereich, der über den Wert eines Komponisten entscheidet. Gewiss ist, über die sehr tief positionierten Hürden von Gershwin und Bernstein gelangt Zappa nicht hinaus. Vielleicht ist es seiner späten Troglodytie geschuldet, seiner lichtscheuen Lebensweise noch vor der Erkrankung, dass er sein Verständnis von musikalischer Ästhetik, trotz der forcierten, allerschrecklichsten Humorismen, vom Widerspenstigen, das bei ihm doch im Rock angelegt ist, freizumachen versuchte, um auf obszöne Weise schlechte Musik zu machen wie die zwei genannten. Watson kommt mit dieser Problematik nur schwer zurande. Dabei stünden seine Karten gar nicht so schlecht; nur bringt er sich dadurch ums Beste, dass er Zappa von Anfang an nicht als Phänomen der Kulturindustrie begreifen will, sondern als Gleichrangigen neben Joyce, Adorno, Boulez. Er blendet dadurch das Rätsel aus, das uns Zappa aufgibt, dass da nämlich ein Akteur der Kulturindustrie es in der Tat zuwege bringt, uns in eine Stimmung zu versetzen wie es Joyce, Adorno, Boulez zuwege bringen.

Man muss es deutlich sagen: Frank Zappa ist ein kritischer Künstler, und nur deswegen ist er ernst zu nehmen. Aber seine Kritik richtet sich nicht gegen die Gesellschaft, sondern gegen ein bloßes, vermitteltes Moment in ihr, die Kulturindustrie. So wie Watson diese Besonderheit missachtet, erscheinen Joyce, Adorno, Boulez beziehungsweise deren Supplemente als Figuren der Kulturindustrie. Gegen seine Joyceinterpretationen sind schon Worte gefallen, die man selbst gar nicht erst in den Mund zu nehmen wagte, und was er substantiell von Adorno verwertet, darf einem Engländer wohl zur Ehre reichen, ist objektiv aber ein Pudelspiel. Man weiß über weite Strecken nicht so recht, ob im Buch die Momente seines Titels überhaupt zusammengehören, Zappa, die negative Dialektik und das ominöse Pudelspiel, oder ob sie je für sich von Ereignissen aus Hollywood Zeugnis ablegen. We are so professional...

Was an Watsons Buch am meisten gefällt, ist sein Widerstandvermögen gegen die unermüdlichste Potenz der Zeitgenossen, die der Anpassung, wie sie sich auf allen Ebenen und in den verwinkeltsten Sektoren der Gesellschaft realisiert. In zwei Erscheinungen, die sich auf die euroamerikanischen Zonen bescheiden, garantieren sie den Brechreiz unbedingt, einmal da, wo behauptet wird, die politischen Kategorien von Links und Rechts seien mit dem Fall der Berliner Mauer in sich zusammengestürzt, und gleich stark da, wo bestritten wird, es hätte je und es würde noch die Differenz bestehen zwischen einer Musik in verbindlichen, ernsten Werken und einer unterhaltenden für die Sprechenden selbst. Die erste Erscheinung verfolgt ausnahmslos den Zweck, rechten autoritären Tendenzen einen Freipass auszustellen, die zweite den, der Kunst und der praktischen Reflexion jedes kritische Potential zuzuschütten. Wird Zappa, wie im Film Peefeeyatko, den Watson leider nicht erwähnt, auf den Schild der großen Meister der zeitgenössischen Kunstmusik gehoben, wird weniger diese Grenzziehung in Frage gestellt als die zentrale Frage Zappas eben zur Sprache gebracht, wie es einem aus der Kulturindustrie gelingen kann, auch Nicht-Hollywood-Fixierte zu interessieren. Umgekehrt bereiten die Passagen im Stil der political correctness deswegen etwas Mühe, weil sie der Idee ungewollt Vorschub leisten, dass wer für die eine Seite Sympathien hegt, der anderen gegenüber feindlich gesinnt sei, wer für Zappa ist, muss gegen die Grandmothers sein, gegen die Gewerkschaften, gegen die explizite Linke. Obwohl einer ihrer heftigeren Widersacher, ist Zappa eben doch ein Künstler der Kulturindustrie, weil das, was er in Gang setzt, nicht innerhalb eines eindeutigen Verbindlichkeitsanspruches zu begreifen wäre. Seine Ambivalenz bleibt indes dadurch attraktiv, dass sie noch lange nicht jeden seiner Schritte unverbindlich macht. Störend wirkt niemals Watsons eigene Meinung, die eine andere ist als die Zappas, sondern der Verzicht darauf, sich zu fragen, warum die correctness im Bereich der Sexualität und des Porno wichtig sein könnte. Die ununterbrochene Kritik an Zappas sexuellen Witzen ist deswegen langweilig, weil sie ungewollt nicht als Privatsache Zappas, sondern Watsons erscheint. Es gehörte eindeutig zu den Aufgaben des negativ dialektischen Reinemachens, nicht einfach eine gewisse Meinung als falsch festzuhalten, indem die korrekte, also kritische, jener entgegengehalten wird, sondern den Zusammenhang darzustellen, innerhalb dessen eine Meinung oder eine Verhaltensweise krumm dasteht. Watson kneift diesbezüglich und deutet, übermüdet, auf den Feminismus und die Politik der Homosexuellen, als ob wir deren Werbefeldzüge zu feiern hätten wie sie gerade zu kommen belieben. Weil Watson auf den Gassigängen mit dem Pudel nicht wenig lächerlich ganze Wagenladungen von Kackisäckli mit sich schleppt, kommt er zuweilen nicht recht vom Fleck - und langweilt. Andererseits versteht er es virtuos, mehreren Konfliktherden den souveränen Meister zu zeigen: sein Diskurs stürzt nicht zusammen durch die Unverbindlichkeit und den ständigen, launischen Wechsel im Timbre von Zappas Statements, und ebenso wenig bringt ihn die Tatsache aus der Fassung, die auch das Lebenswerk Zappas prägte, dass der Egoismus im Rockbuissnes wichtiger ist als die Realisierung einer gesellschafts- oder kulturpolitischen Idee.

Zappa wozu dann? - Es ist wohl nicht falsch, von einem durchgehenden Zusammenhang der Dinge zu sprechen, so wie sie uns erscheinen. Doch dieser einheitlichen Ontologie, die uns die Erfahrung zeigt, entspricht keine einheitliche Erkenntnis. So wie die Erfahrung nahelegt, zwischen der Welt des Sexuellen und des Politischen keine Trennwand einzurichten, weil dieselben Phänomene im selben Materiellen zusammengehalten werden, ist es wiederum die Erfahrung, dieses Mal der Theorie, die das Meinen als Ideologie erscheinen lässt, wo das eine durch Erkenntnis durchschaut sei, wäre es auch das andere. Wie in einem Labyrinth sind die Dinge, die im Ganzen doch zusammengehalten werden, durch epistemologische Bruchlinien voneinander separiert. Wohl gibt es Begriffe, Diskussionsmuster und Floskeln, die im Sexuellen Orientierung bieten und einen Diskurs darüber möglich machen; und wohl gibt es Begriffe, die solches im Gesellschaftlichen, im Ökonomischen und im Politischen geschehen lassen. Aber eine Wissenschaft, die sowohl den Alltag der Menschen in allen Gesellschaften wie auch ihre Wünsche und ihre kulturellen Manifestationen in einem einheitlichen Text zu erklären vermöchte, ist als Idee utopischer und abstruser denn je. Diese Einsicht braucht nicht zu beunruhigen - es ist die Grundannahme der negativen Dialektik. Bewegt man sich diszipliniert innerhalb derselben, erfährt man die einzelne Erkenntnis als eine Zusammenstellung von Begriffen, die aus verschiedenen Ebenen erscheinen mögen, sich schlussendlich aber wieder in neue Zusammenstellungen umgruppieren, die keine Kontinuität zwischen ihnen nachweisbar macht. Ist der Wunsch nach Erkenntnis, wie im Alltagsdenken, nicht streng genug ausgeprägt, lässt sich im gleichen Sinne sagen, dass nicht alle Phänomene, die objektiv gesellschaftlich relevant sind, sich in angemessener begrifflicher Strenge ausdrücken lassen. Es gibt immer einen Rest, der sie objektiv miteinander verknüpft, in der Welt der erkennenden Begriffe aber keinen Platz findet. Und dieser Rest ist die Domäne des Rocks der Mothers. Warum aber Zappa und nicht Yes, Led Zeppelin oder die seit ihren Anfängen verstaubten Rolling Stones? Nur Zappas Werk ist komplex genug, um Materialien des Begrifflichen freisetzen zu können. Man weiß bei der Rezeption nicht immer schon, wie es weitergeht, und man weiß nach der ersten Rezeption nicht immer schon alles. Diese Komplexität im Werk Zappas korrespondiert mit nur wenigen anderen, mit Beefheart, und mit Hendrix, vielleicht (hier gar nur im musikalischen Ausdruck); möglicherweise ist sie nicht enorm tief, aber sie reicht aus, um in dicken Büchern auch in ihren dunkeln Bereichen ausgelotet zu werden. Watson leuchtet in viele Winkel, Kluften und Drachenlöcher - zum Vergnügen, meistens, aber auch, durch die Wegzehrung Adornos, wie immer karg, zur Gewinnung von Einsichten. Dass nach zehn Jahren immer noch keine deutsche Übersetzung vorliegt, ist als ein Zeichen mehr zu deuten des Verfalls der deutschsprachigen Verlage und ihres vorauseilenden Gehorsams gegenüber Hollywood.