home

Inhalt

Jean Ziegler

Die neuen Herrscher der Welt
und ihre globalen Widersacher

München 2003

Eines ist klar: dieses Buch, so nötig es erscheint, weckt nicht auf, mobilisiert nicht, reizt weder Gemüt noch Geist in jener geforderten speziellen Weise, die eine weiterführende Auseinandersetzung mit der Realität in Gang setzen würde. Es fragt weder nach Begriff noch Struktur und setzt sich selbst frohgemut ausserhalb der institutionalisierten Aufklärungszusammenhänge. Ohne illegitim oder nutzlos zu sein, kommt es nicht an. Allerdings ist die Zielverfehlung kein Einzelfall, sondern Symptom des Agitierens einer ganzen Reihe von Intellektuellen überall, die der Anstrengung des Begriffs abschwören, um endlich die Tatsachen ohne alle Rätselhaftigkeit sprechen lassen zu können. Je mehr sie sich von allem schwierigen Rätselhaften losgelöst wähnen, desto mehr ermattet die Kraft in ihren Worten, auch wenn sie frei bleiben vom Dünkel der positivistischen Unparteilichkeit.

Der Bankrott der Intellektuellen heute liegt weniger darin, das soziale Utopische zu verraten, als in der Mimikry an die abgedichtete Kulturindustrie, um im vermeintlichen Ton der Verratenen der Geschichte so mit denselben einen Kontakt herzustellen, dass die vereinzelte schriftliche Stimme Organ wird des reflexiven Bewusstseins. Doch in dem Masse, wie das Organ sich an die Kommunikationsverhältnisse anbiedert, verkümmert es, weil seine Lebendigkeit sich entfaltet nur als Widerpart des Rätselhaften. Die Mimikry, die vorgibt, in den Farben des Falschen aufzutreten, um dieses zu täuschen, misslingt, weil sie kraft der Verdichtetheit des Falschen zu viele Momente übernehmen muss, die sie erschlagen. So ist denn Zieglers Impetus nichts weniger als konkretistisch regressiv und kann einen zuweilen ganz schön nerven. Immerzu bleibt die Frage dunkel, was man denn eigentlich vom intellektuellen Gastfreund, der überall zuhause ist, über die Revolutionäre, die Pfarrleute, Bankers, Banditen und Gärtner erfährt. Je mehr er von sich gibt, wo überall er verkehrt, desto mehr vermittelt er einem einzig, nur ihm allein fortan noch vertrauen zu können, weil man selbst ja keinen Boden mehr unter den Füssen habe, bei dem man mehr als nur zuhause wäre. Dadurch wird er autoritär, Vormund einer Welt von Mündeln. - Die Nonchalance gegenüber dem Theoretischen mag modisch sein, bei Ziegler war sie seit jeher spürbar. Vor Jahren schon ging man nur mit dem flauen Gefühl im Bauch in seine Vorlesungen, nicht recht nachzukommen, weil man in der Schwemme der Anekdoten fälschlicherweise einen Erkenntniszusammenhang ausfindig machen zu müssen vermeinte.

Aber sind die Rapporte falsch? Keineswegs. Sie bleiben getreu im Horizont dessen, was man als braver Zeitungsleser wahrnimmt, verpassen aber das Reale, also unseren Gesamtzusammenhang, der aller Lesenden, desto unwiderruflicher, je mehr ihr Vermittler dem einzelnen notierten Ereignis das Gefühl der Empörung anklebt, das doch erst in der Erkenntnis sich einstellen sollte, um dem praktischen Gesamtzusammenhang sein Recht widerfahren lassen zu können. Ungleich seinen Intentionen arretiert der Autor dieses Gefühl, das entscheidend wäre um vorwärts zu kommen, bei den Sachen statt es in der begrifflichen Vermittlung freizusetzen - der politische Intellektuelle betrachtet im forcierten Engagement die lamentablen Ereignisse nur noch ästhetisch.

Die Frage aller Soziologie heute wäre, ob sich die Bevölkerung noch anders auf den Begriff bringen liesse denn als KonsumentInnen von DRS, ARD, ORF, ZDF, RAI etc. Wie viele heutige Intellektuelle meint Ziegler, mit dem Ton der Simplizität die Masse zu treffen. Gebannt vom kulturindustriellen Fernsehlärm, erreicht sie kein munterer Aufruf aus der Nachbarschaft, ihr Gerät, das sie ontologisch als ihr ureigenstes Stück Bioelektronik verklären, leiser zu stellen, um von der Realität überhaupt etwas noch wahrnehmen zu können. Die Windmühlen, gegen die, wie den RezipientInnen scheint, Ziegler kämpft, sind nicht die Weltbank und all diejenigen Instanzen, mit denen sie verflochten ist, sondern sind wir selbst. Denn von jenen Instanzen lässt sich mit Notwendigkeit sagen, dass sie, genau so wie sie empirisch da und real wirksam sind, auf den Misthaufen der Geschichte gehören. Wir aber, die dieses letzte Werk von Knechten und Mägden ausführen sollen, gehören um so weniger dem realen Ganzen an als wir uns als Mikroteilchen der Bioelektronik unterordnen. Solches nicht sehen zu wollen, lässt den Autor dastehen wie alt, wie aus einer vergangenen Zeit.

Ziegler weicht der schwierigen Frage aus, dass alle erfüllte Praxis in einem gesellschaftlichen Bewusstsein ihr Ziel finden soll, das von der Mehrheit gelebt wird und dem die Minderheit nicht nur abwehrend gegenübersteht. Alle Zeichen der weltweiten Kulturindustrie, der sich das Buch so lustvoll andient wie Michael Moore's Stupid White Men der lokalen amerikanischen, deuten aber darauf hin, dass sie jede Praxis zum Besseren hin mit voller Kraft unterminiert, weil sie jedes Aperçu und jeden Witz, der gegen sie intendiert zu sein scheint, immer schon systematisch integriert. Die empfohlenen Märsche und Feste mögen gut sein, um einer sozialen Stimmung zum Ausdruck zu verhelfen. Kann man darüber sprechen aber ohne das Gefühl der Verlegenheit, und auch ein wenig der Scham, weil man dabei immer auch andere zu etwas mit auffordert, das nicht immer ohne Lebensgefahr durchzustehen ist? Der Unterschied zwischen dem verantwortungslosen Drängeln zum metaphysischen Kampfeswille und der läppischen Folklore ist häufig klein. Wer aber das Supplementäre zum Wesen stilisiert, läuft Gefahr, die entscheidenden Zusammenhänge gar nicht erst antasten zu wollen.

Das Buch möchte ein Bild vermitteln der Herrschaftsform heute. Darf ein Analytiker aber von neuen Herrschern sprechen, nur weil er selbst mit ihnen persönlichen Umgang zu pflegen imstande ist, sie also weniger als anonyme Klasse den BürgerInnen entgegenstehen denn als klar identifizierbare individuelle Akteure? Sind deswegen die alten Herrschaftsgesetze zu sehen als ausser Kraft gesetzt, mithin vernachlässigbar? Das Buch hat zwei substantielle Fehler, erstens vermittelt es keine Vorstellung davon, wie der Widerstand global ausgeführt werden kann und nicht, wie immer vernetzt, lokal angebunden, zweitens tabuiert es die Frage nach dem Wunsch, den die Macht freisetzt, ihr sich zu unterwerfen. Wenn Ziegler schon so gerne sich auf die Kritische Theorie bezieht, darf er sich das Sensorium nicht abstumpfen lassen gegenüber den Vorgängen der Gesellschaft, sich selbst abzudichten. Denn zu diesem nur schwer zu ertragenden saloppen Ton im Schreiben sieht sich ein Autor nur deswegen gezwungen, weil er allerbestens weiss, dass begrifflich durchsichtiges, selbst wieder kritisierbares Analysieren keinen historischen Adressaten mehr nachstellen könnte, weil die subtilste Waffe der Herrschenden, die Totale der Kulturindustrie, der indes kein Subjekt zu unterstellen wäre, den Wunsch der Unterdrückten nach Unterdrückung bis in die letzten Nervenverzweigungen unaufhörlich zu reizen vermag. Jean Ziegler ist erst dann wieder ernst zu nehmen, wenn er den kritischen Drive nicht nur gegen die gesellschaftlich zu unrecht Anerkannten, sondern auch gegen die Anerkennenden als regredierte Meute wendet.

Während der Lektüre erscheint der grösste Mangel des Buches darin zu liegen, dass es die Voraussetzung sabotiert, es auch ein zweites und anderes Mal zu konsultieren, um gewisse Gegebenheiten tiefer verstehen zu können; sie treten hier als Widergänger auf, als immer schon kulturindustriell abservierte Meldungen, und eben nicht als viel Weiteres, Unerhörtes. Das Zusätzliche, verborgen Zusammenhängende bricht dieses alte Verkrustete nicht auf. Aber man kann es weitergeben, einem Genossen vielleicht, der es, weil er im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit wacker widersteht, als Ersatz verpasster Zeitungslektüre zu schätzen weiss. Wenn das Buch aber nur schon bei einem einzigen Menschen nützlich ist, dann ist es auch im allgemeinen Sinne notwendig und gut. Denn nichts ist so wichtig und dringend heute wie die permanente Erinnerung an das, was das Schlechte in der Welt in Gang setzt - und kaum einer wäre zu nennen wie Jean Ziegler, der die Erfahrungen unermüdlich gesammelt hätte an denjenigen Knotenpunkten der Weltgesellschaft, die dieselbe zur Hölle machen.