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Heinz Steinerts Untersuchungen

zum intellektuellen und musikalischen Selbstverständnis

Theodor W. Adornos

Ueli Raz, Bern, 1993

 

Heinz Steinert, Adorno in Wien, Über die (Un-)Möglichkeit von Kunst, Kultur und Befreiung, Verlag für Gesellschaftskritik, Wien, 1989, 239 Seiten, 2. Auflage S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 1992

 

Heinz Steinert, Die Entdeckung der Kulturindustrie – oder: Warum Professor Adorno Jazz-Musik nicht ausstehen konnte, Verlag für Gesellschaftskritik, Wien, 1992, 285 Seiten

 

Der 1903 geborene Theodor Ludwig Wiesengrund, der seine Aufsätze, Konzert- und Werkkritiken in den Musikzeitschriften ab 1923 mit Wiesengrund-Adorno unterzeichnen wird, lernt 1919 den baldigen Redaktor bei der Frankfurter Zeitung Siegfried Kracauer kennen, der aufgrund seiner Stellung und seiner auswärtigen Studienaufenthalte Adorno mit maßgebenden Intellektuellen zuerst in ihren Texten, dann aber auch persönlich bekannt macht – so mit Benjamin, Bloch und Lukács; Löwenthal steht in Frankfurt im selben Verhältnis zu Kracauer wie Adorno (und wird später, 1932/33, aus kontingenten Gründen Marcuse der Gruppe anempfehlen), Horkheimer allein steht in diesem Beziehungsgeflecht, aus dem die Frankfurter Schule hervorgeht, singulär und verquer. (Kracauer, gebürtiger Frankfurter, studierte 1907-1909 in Berlin Architektur, wo er auch Vorlesungen bei Georg Simmel besuchte; 1909-1911 war er in München und machte dort den Architektenabschluss. Während und nach dem Krieg arbeitete er auf dem ungeliebten Beruf, schreibt zur gleichen Zeit daneben kleinere Zeitungsaufsätze, eine Simmelmonographie und einen dürftigen, als Habilitationsschrift geplanten erkenntnis- bzw. wissenschaftstheoretischen Text über die Soziologie; ab 1921 ist er fester Mitarbeiter der Zeitung, 1924 endlich Redaktor des Feuilletons. – Vgl. dazu die beiden nachstehenden Bücher, die leider in der offenbar aktuell gewordenen Frage nach den Umständen der Entwicklung des Verhältnisses Adorno–Kracauer nicht ausreichend weiterhelfen, weil das Adorno Archiv die Bitte des vor fast einem Vierteljahrhundert Verstorbenen lückenlos, irritierenderweise aber nur zeitweilig lückenlos überwacht, aus Briefwechseln nämlich, die noch nicht als ganze veröffentlicht werden konnten, nicht zitieren zu lassen: Ingrid Belke und Irina Renz, Siegfried Kracauer 1889-1966, Marbacher Magazin 47/1988 und Michael Kessler/Thomas Y. Levin (Hrsg.), Siegfried Kracauer – Neue Interpretationen, Tübingen 1990.) – Eine extensive Lektüre der Musiktexte Adornos in den zwanziger Jahren, die der Chronologie ihrer Niederschrift folgt, lässt den Nachweis erbringen, dass Adorno weniger von seinen Mentoren beeinflusst zu sehen ist als vielmehr schon von seinen ersten Texten an die später formulierte Methode befolgte, Theoretisch-Begriffliches nicht empirisch festzuschreiben, sondern aus bereits Vorgegebenem, sei dieses selbst eine Theorie oder ein künstlerisches, vornehmlich musikalisches Gebilde, herauszulösen. Was an diesen Texten adornofremd und unreif dünkt, bis in den August 1928, ist ihr Zusammenhalt in der Bedrängnis, das expressionistische Vokabular, dem sie schutzlos ausgeliefert scheinen, durch Selbstkritik von sich abzustreifen – 1928 wird die auf Schönberg fixierte Genieästhetik, die in der Wahrhaftigkeit des Künstlers ihr Motiv hatte (Kunst kommt nicht von Können, sondern von Müssen), durch eine materialistische, antihermeneutische und antiphänomenologisch-geschichtliche Konzeption abgelöst, wodurch nicht nur der Expressionismus als Ganzes obsolet wird, sondern insbesondere sein zuweilen aufdringliches Vokabular, in welchem er quasi unerkannt auf lange Zeit hin wirkte: Ich, Seele, Schein, Natur, Welt, Geist. Zur selben Zeit, als sich Adornos Gesellschaftstheorie herausbildet, beginnen seine mitunter scharfen Attacken gegen nicht zuletzt diejenigen Theoretiker, die ihm nahe stehen. Die theoretischen Ausfälligkeiten werden psychologisch einigermaßen verständlich, wenn man berücksichtigt, wie lange Adorno sich an den Gegenständen abarbeiten musste, den zumeist uraufgeführten Werken, die er in Konzertberichten mit beeindruckender Klarsicht und an Kant gemahnender Redlichkeit, d. h. ohne falschen Rekurs auf eine ideale Ästhetik oder Musiktheorie, kritisierte – und wie lange nur musste er sich daran abarbeiten, bis er zu „seinem“ Stand der Erkenntnis gekommen war. Ich meine, das war 1928 in der Tat einzigartig, folglich auch rechtfertigungswürdig (dieser Legitimierungszwang wird die Theorie selbst – die Kritische Theorie – im übrigen zu einem nicht geringen Wandel veranlassen). Dass man auf eigenen Füßen steht, muss einem Umkreis, in dessen Mitte man gehalten wird, erst einmal deutlich gemacht werden. Adornos Position Ende der zwanziger Jahre hat im Grunde nichts Spektakuläres an sich, was man mit heutigen Augen in Zweifel ziehen müsste, dennoch war sie zu jener Zeit radikal und neu. Da sie in keinem publizierten Haupttext als solche niedergelegt war, konnte sie in ihrer Entstehungszeit keine breite Wirkung erzeugen; und sie muss auch heute erst noch aus diversen Textpassagen zusammengetragen werden. Sie fordert, dass das zu deutende Phänomen, das mithin weder eines der Natur noch im engen Sinne eines der Ökonomie ist, in dreifacher Hinsicht geschichtlich situiert wird:

  1. Das Gebilde wird im selben Oberflächenzusammenhang, dem es angehört, aus der allgemeinen Geschichte herausgenommen und in der besonderen – zum Beispiel der musikalischen oder philosophischen – zeitlich und gegebenenfalls örtlich festgebunden.
  2. Diese Relativierung wird aufgehoben, indem das Phänomen, das historisch alt oder jung sein kann, als Erkenntnisproblem der Gegenwart gefasst wird, also antihistoristisch, wobei das Gegenwärtige zu problematisieren ist, insbesondere bei Adorno als Effekt der Warenstruktur. (Adorno hat außereuropäische Kulturen nicht adäquat zur Kenntnis genommen, vielleicht gerade weil 1927 eine große und vieldiskutierte musikethnologische Ausstellung in Frankfurt, „Musik im Leben der Völker“, dilettantisch und tendenziös konzipiert war: zur fremden Musik verkommen war schon die französische und die russische.)
  3. Die Begriffe der Erkenntnis bzw. der Deutung sind dem aktuellen Diskussionsstand der Wissenschaften (im allgemeinen Sinne) zu entnehmen und bezüglich sowohl des Diskussionsstandes wie des Phänomens zu problematisieren. Mit Ausnahme des zweiten Punktes, der keine Skepsis duldet, scheinen uns diese wissenschaftstheoretischen Prämissen, die nicht von irgendwo übernommen, sondern aus der Analyse der uraufgeführten musikalischen Werke gewachsen waren, keineswegs überrissen; trotzdem sind sie die treibende Kraft, die Adornos Mentoren – davon ausgenommen Max Horkheimer – als gegen sich gerichtet zu spüren bekamen.

Es sind alle drei erwähnten Punkte, die Adorno dem kritischen Soziologen Kracauer entgegenschleudert: Kracauer ist in der Anschauung der Phänomene verhaftet, so dass er sie aus ihrem Im­manenzzusammenhang nicht herauszulösen vermag und es zu keiner theoretisch-begrifflichen Vermittlung kommen kann; Kracauer untersucht das Umfeld der sozialen Gruppe, innerhalb wel­cher ein zu deutendes Phänomen, zum Beispiel die Operetten Offenbachs, zur Entfaltung heran­wächst, ohne den Bezug des Produktes zur tieferliegenden Gesellschaftsstruktur herzustellen; Kracauer fehlt durchgängig eine verbindliche begriffliche Systematisierung.

Nun liegen von Heinz Steinert, Professor für Soziologie in Frankfurt und gleichzeitig Direktor des Wiener Instituts für Kriminalsoziologie, zwei Studien zum intellektuellen und musikalischen Selbstverständnis Adornos vor, die sowohl explizit wie in ihrem Verfahren der Position Kracauers Respekt wiederfahren lassen. Diese Haltung wird dann leicht plausibel, wenn Lese- und Diskus­sionserfahrungen mit den Schriften Adornos von den Erfahrungen im soziologischen Wissen­schaftsbetrieb nicht mit einem Klotz im Hals auseinandergehalten werden. Steinert wehrt sich ge­gen ein hypothesenfreies Schreiben gleichwie gegen fachzentriertes Rezipieren der soziologischen, philosophischen und musikalischen Schriften Adornos, das vor lauter Verstehensfragen den Weg zu neuen Erkenntnissen ebenso abblockt (Adorno in Wien, 1. Auflage, p. 194) wie das erstere. Für beide Bücher lassen sich Grundthesen formulieren, die sowohl mit empirischem Material wie natürlich ausgiebig auch mit Textstellen konfrontiert werden. Für das erste Buch lautet die These, dass Adorno das Rote Wien und folglich Alltagssoziologisches auch späterhin nicht habe zur Kenntnis nehmen können, weil er die revolutionäre Phantasie ganz auf den musikalischen Schön­berg und seinen Kreis, in den er nicht wunschgemäß habe eindringen können, wie man in Zürich sagt: fokussiert hatte; das zweite Buch fragt, was an der Theorie der Kulturindustrie und der Kunsttheorie Adornos revidiert werden könne, wenn es sich stimmig zeigen ließe, dass Adorno den Jazz missverstanden hätte. Beide Thesen, die falsche Phantasien oder Vorurteile des empiri­schen Menschen Adorno zum Gegenstand haben, sind so formuliert, dass sie mit der Behauptung verknüpft werden können, diese Umstände hätten sich auch in der Theorie niedergeschlagen – es sei in dieser aus diesem Grund etwas Falsches bis auf weiteres noch aufzuspüren, das eine imma­nente Lektüre, die sich nur auf philosophische Texte oder Werke der Zeitgenössischen Kunstmu­sik beziehen würde, nicht zu vollbringen imstande wäre. Am Ende beider Bücher bleibt Steinert schwankend, nicht aus Erschöpfung, sondern aus erkenntnistheoretischer Zurückhaltung; die Idee entpuppt sich als schöne regulative, es sei auch beim Hermetiker Adorno ein Falsches zu entdecken, das nicht nur sein Leben, sondern auch seine Theorie uns menschlicher erscheinen lasse. Zu­mindest dem Verfasser hat diese Hypothese aber die Schaffenskraft gesteigert (und ich meine, das kritische Antreten gegen eine Position ist wissenschaftstheoretisch einer der naheliegendsten Kö­nigswege und keineswegs mit Notwendigkeit von einer negativen Einstellung zur kritisierten Haltung gesäumt). Die Position gegen Adorno im Verhältnis Adorno-Kracauer, zusammen mit dem diesbezüglich vermittelnden, analytischen Begriff der Theorie, ermöglicht eine Darstellung Adornos, die auch eine entfaltete, fakten- bzw. materialreiche Intellektuellentheorie in sich trägt, das Verfahren also auch auf sich selbst bezieht, was Adornos Forderung nach einer gegenwarts­bezogenen erkenntnistheoretischen Reflexion entgegenkommt. In Anbetracht der Sekundärlitera­tur zu Adorno darf überhaupt gesagt werden, dass es der Steinertschen Adornodissidenz zu ver­danken ist, dass so immens viel spannendes Material hat aufgearbeitet und präsentiert werden kön­nen, was umgekehrt nicht vorschnell zum kontrafaktischen Argument gegen Adorno gewendet werden sollte. Im Gegenteil. Heute ist die entmythifizierende Adornoforschung, die nach wie vor die aktive, aus der Isolation herausgezerrte Rezeption der Schriften im Zentrum hält, doppelglei­sig aufzufassen: als immanent und als empirisch orientiert. Dass es sich hierbei um keine frivole Trennung handelt, zeigt sich darin, wie bewundernswürdig getreu Steinert Adorno referiert, so dass man bei der Lektüre seinen Versicherungen, gegen die man sich vielleicht händewehrend stemmt, nicht recht trauen will, nämlich gegen Adornos Jazzidiosynkrasie anzuschreiben; für die Lektüre gilt die Wiedergabetreue als immanentes Verfahren und keineswegs leicht als das identifi­zierbar, was Adorno an Kracauer kritisierte. Offenbar ist eine gute Mitte beider Positionen reali­sierbar, und diese besteht in der souveränen Kenntnis der zu erforschenden Sache selbst – für die Soziologie eher selten eine Selbstverständlichkeit.

Wie Kracauer von Adorno vorgehalten wurde, das soziale Umfeld vor die Werke des Operetten­schreibers Offenbach zu rücken, so theoretisiert bezeichnenderweise Steinert nicht ein Ideal von Jazzmusik, das es nicht gibt, sondern spricht vom Idealtypus des gegenwärtigen Intellektuellen, der beim Jazzmusiker auszumachen sei. „Ich schlage vor, das Verhältnis, das Jazzmusiker zu ihren Produktionsmitteln, zur Öffentlichkeit und zu ihrer Kunst haben, als Vorbild für eine brauchbare Haltung der Intellektuellen zu nehmen.“ (Die Entdeckung der Kulturindustrie, p. 7) Methodisch ignoriert dieser Satz, der die beiden Bücher verbindet, die relative Autonomie der Gebilde, um aber das Produktionsumfeld um so mehr auf die Aktualität bezogen zu problematisieren. Ungeachtet der Frage, ob es dem Autor des ersten Buches gelungen ist, die Lebensstilphantasien desje­nigen Adorno, für den Schönbergs Wien als Inbegriff des Fortschritts galt, in Adornos Theorie kritisch aufzuweisen, darf er sich nun an einem sozialen Typus orientieren, von dem wenigstens er selbst weiß, dass er Adorno widerspricht und zugleich der Gegenwart, wie etwa Schönberg in den zwanziger Jahren, noch nicht entflohen ist. Wenn es gelingt, die Frage nach dem Jazz zugunsten der Frage nach der Haltung derjenigen auszublenden, die sowohl im Jazz- wie im progressiven Rockpublikum zu finden sind, dann darf der Realismus des Autors als genügend verankert akzep­tiert werden. Die Verhältnisse zwischen dem Jazzspiel und dem Jazz als ausartikulierter Musik waren nämlich auch früher nur in wunderlicher Metaphorik zu fassen: Es ist nicht dasselbe, nach einem Arbeitstag das Saxophon zu traktieren, um sich für die Arbeit am Abend freizuspielen, und – wohinein sich der Autor trotz aller Absicherung des öfteren begibt – die Rechtfertigung der künstlerischen Praxis, von der jenes Spiel ein isolierbarer Teil ist, als strukturierte Domäne der Kunst mit all ihren Ansprüchen und Versprechungen sozialer Kapitalien legitimieren zu wollen. Adorno meint dazu, im Hinblick auf Alban Bergs Lulu: Mag einer auch jahrelang danach trachten, das Saxophon zu unterwerfen, so muss er noch lange nicht den ganzen Jazz mit allen Schulden auf sich laden (vgl. Adorno GS 13; 465). Es liegt am Jazz selbst, dass eine Trennung zwischen Bio­graphie der Protagonisten und Geschichte der Werke nicht möglich ist. Je weniger man sich von dieser Tatsache irritieren lässt, desto mehr wird einem die Lektüre des dritten Kapitel der Kulturindustrie zum Genuss. Dieser lange Abschnitt befasst sich mit der Geschichte des Jazz, von der ich nun endlich etwas weiß, wenn ich es auch bloß als Sammelsurium von Namen erfasse, die mir für alle Zeiten gleichgültig gewesen sein werden: die Nerven der Jazzfans mögen durch diese Geschichte von Geschichtchen angenehm gereizt werden. Wenn mich dieser Teil, der für das Buch als empirischer Kitt von Bedeutung ist, nicht interessiert, weil ich die Namen fortlaufend vergesse, so ist er doch wie Literatur faszinierend hingeschrieben. Um so bedauerlicher ist es, dass bei dieser Buchausgabe, der nach zwei oder drei Jahren eine Taschenbuchausgabe folgen soll, ein Namensregister fehlt, da sowohl Jazzfreunde, Jazzfremde und Jazzfeinde gleichermaßen manchmal zum Nachschlagen genötigt sind, und Steinerts kompetente, in einem grenzenlosen Archiv von Tonträgern angeregte Materialsammlung scheint mir dazu gar gut geeignet.

Das Thema Adorno und der Jazz verlangt zwangsläufig eine Kracauer-nahe Position, da Jazz den Stand der Erkenntnis in den Begriffen nicht weiterführen kann. Man muss vielleicht Adornos Schutzsuche im Jahr 1966 bei seinem neuesten Namenspreisträger durchaus ernst nehmen, und es ihm glauben, dass er verschiedentlich versucht hat, den Jazz in Analyse zu bringen: „Analog (der Malerei zum photographischen Abklatsch der Wirklichkeit) ist das Verhältnis der Kunstmusik zur leichten Musik geartet, zu der ich, wie Pierre Boulez, ausdrücklich den Jazz hinzurechne, der ganz schief angesetzt wird, wenn man ihn, wie es in Deutschland beliebt ist, mit avantgardistischen Tendenzen zusammenwirft.“ (Adorno GS 17; 279) Weil der Jazz nicht wie Kunstmusik analysiert werden kann – es ist ein für Steinert folgenreicher Vorwurf an Adorno, dass dieser im Bereich des Jazz keine wohlformulierten musikwissenschaftlichen oder musikphilosophischen Einzelanalysen liefert – müssen die negativen Einschätzungen in Formen artikuliert werden, die abstrus auf solche wirken, die in einem positiven Verhältnis zum Jazz gefangen sind, für das sie, in doppelter Strafe, nicht zur Rechenschaft gezwungen werden dürfen. Steinerts Ringen um „Adornos Psychoanalyse des Jazz“ (Kulturindustrie, p. 93ff) wirkt einerseits kurios, weil man sich in die Bilder Adornos entgegen der Meinung des Autors (mit der er alles andere als alleine ist) sehr wohl einfühlen kann, sofern man die Prämisse im strikt logischen Sinne unterschreibt, dass der Jazz dem Verdacht des Als Ob auszusetzen ist, dem, dass er nur so tut, als sei er aufmüpfig und dem, dass er nur so tut, als würde er ernst zu nehmende Musik vorführen; andererseits bietet Steinert zuwenig begriffliche Unterscheidungen, um die Charakterisierungen des Publikums, die bei Adorno im Doppelsinne zu grob sind, weil sie den Jazz beim Wort nehmen – wo er doch nichts zu sagen hat – realitätsgerechter, also differenzierter zu fassen. Ohne Zweifel werden aber diese Passagen, so haltlos wie sie die Fragen im Raum stehen lassen, um nicht grob sein zu müssen, weitergehende Untersuchungen initiieren, diesfalls empirische.

Aber es muss ebenso in der Parteinahme für Kracauer, die teilweise nur im Impliziten aufgespürt werden kann, der blinde Fleck gesucht werden, der dazu führt, dass Adornos Selbstkritik in bezug auf die Analyse von isolierten Phänomenen nur undeutlich rezipiert wird, die sich mit dem Wandel der Theorie Adornos auch bezüglich der JazzmusikantInnen ergibt. Der spätere Adorno, ab den fünfziger Jahren, mildert die Invektiven des jungen gegen die Jazzer als „autoritäre Rebellen“, weil er die tieferliegenden Umstände – die Sozialstruktur – um so mehr ins Blickfeld rücken möchte, in denen sie – reaktiv – agieren. Gehört es zur Leistung des jungen Adorno, Kritik antihermeneutisch zu verstehen, als Konstruktion einer Verschiebung im Gebilde durch dessen begrifflich artikulierte Deutung, so fixiert der späte jegliche Veränderung in den Gebilden an die gesellschaftlich determinierenden Strukturmomente – ohne solche Umstürze, die Adorno in der engen Zusammenarbeit mit Horkheimer nur in den dreißiger Jahren für möglich hielt, keine Kritik an Einzelphänomenen. Dank Adornos Verschärfung der Theorie werden die realen Einzeljazzer gerettet und brauchen eine konstruktive Kritik, die an sie selbst gerichtet wäre, nicht mehr zu fürchten. (Vgl. gegen diese harmonisierende Adornodeutung Steinerts Zusammenstellung aller Jazzarbeiten Adornos in Kulturindustrie, p. 217: die scharfen „Oxforder Nachträge“ aus den dreißiger Jahren werden 1964 unverändert erstveröffentlicht.) Nichtsdestotrotz verschweigt Steinert, was im Frankfurter Universitätsdiskurs in die Enge nicht wundert, das spezifisch materialistische Marxerbe auch bei Adorno – und zwar in allen seinen Phasen – wie es gerade kürzlich wieder deutsch bei Derrida neuformuliert wurde (Préjugés, Vor dem Gesetz, Wien 1992): das theoretisierende, urteilende Subjekt hat es ohne Ausnahme mit einem vorstrukturierten, komplexen Ganzen zu tun, zu dessen Erkenntnis sowohl die Geschichte dieses Ganzen wie auch die jenes Subjektes (als die Geschichte der Theorien) die Momente beitragen, und zwar auf solche Weise, dass die Erkenntnis in ihrer letztlich angestrebten Verbindlichkeit, die Erkenntnis des Ganzen als ganzes – das definitive Urteil – Theorie suspendiert zugunsten einer Verschiebung des Ganzen selbst. Was Verschiebung meint – Praxis ohne Optimismus oder Pessimismus – braucht nicht klargemacht zu werden; entscheidend ist die Einsicht in die Grenzen der hermeneutisch-philologisch-empirischen Deutung sozialer Phänomene, soweit diese, wie bei der Musik der Fall, einem geschichtlichen Verlauf mit relativer Autonomie zugeordnet werden können (Gegenbeispiele wären entweder in die ökonomische Reproduktion oder in die militärische Antiproduktion verflochten).

Steinert kommt es ganz darauf an, die Trennung von Kunst und Kulturindustrie zu entmystifizieren, indem die Intellektuellen als die SoziologInnen in der Öffentlichkeit die Aporie, in der insbesondere sie selbst stehen, nicht von sich schieben (vgl. Jacques Derrida, Das andere Kap, Die vertagte Demokratie. Zwei Essays zu Europa, Frankfurt am Main 1992). Wenn auch die Kulturindustrie Priorität hat, so wird sie doch von Subjekten getragen, die sie zersetzen können, indem sie sich in ihr durchsetzen und der Melancholie nach der großen Kunst Lebewohl sagen. Es gelingt ihm dies aber nur mit einer begrifflichen Hypothek, die ihren Nutzen erst noch zu erweisen hat (ich stelle mir vor, dass solches im Feld außereuropäischer Musiksoziologie erprobt werden könnte – keineswegs in Musikethnologie). Steinert spielt nicht den Jazz gegen die ernste Musik aus; aber seine Insistenz auf dem größeren Realitätsgehalt des Ereignisbegriffs vor dem Werkbegriff scheint mir doch einem Rückfall in die Metaphysik nahezukommen, indem nun wieder das bloß Sichtbare – das Eräugbare – von der Realität Zeugnis ablegen solle, nicht mehr das Durchgestaltete, das in der Rezeption erst noch auf den Begriff gebracht werden muss. Heißt das nicht, dass die Werke von Boulez und Stockhausen, und ebenso die ereignishaften von Cage, gehört werden sollen wie Jazz – also ohne das Ding zwischen den Ohren, das vergessenzumachen als der erhabene Sinn der Kulturindustrie jenseits aller Positionen zu akzeptieren von Kindsbeinen an uns eingetrichtert wurde, von allen lehrbeauftragten Seiten? Man hat es hier mit einem Verkennen zu tun, das die ganze Geschichte der Theorie durchzieht, seit Platon und Sokrates, als wäre Kunst selbst das Glück bereits, nicht erst sein Versprechen, auf das reflektiert werden müsste.

Ebenso sind Steinerts Bemerkungen zum Erhabenen und zum Ende der Kunst, die parallel zur Intellektuellentheorie den Gegenwartsbezug der Bücher ausmachen, nicht durchgängig realitätskonform, weil ihr Ausgangspunkt in einer Abstraktion von der konkreten Auseinandersetzung mit konkreten Einzelwerken gründet. Es darf vermutet werden, dass Steinert zu wenig seinen eigenen Deutungen vertraute als vielmehr aus schleierhaften Gründen dem Vielvereinfacher Wolfgang Welsch folgte (vgl. Kulturindustrie, p. 174). Die Erhabenheit, die Kant im Zusammenhang des beeindruckenden Naturschönen erwachsen sieht und die Adorno heute eng mit dem Lächerlichen und Komischen der Kunst zusammenzwingt – Steinert bedauert in Kulturindustrie, p. 167 verfrüht, Adorno hätte seine Bemerkungen zum Komischen aus dem Jahre 1939 nicht weitergeführt: zumindest spricht die Ästhetische Theorie am Ende des Abschnitts Zur Theorie des Kunstwerks Deutliches zur Gleichzeitigkeit des Erhabenen und Komischen – ergibt sich nicht durch eine sonntagsschülerhafte Projektion einer Leere auf die Werke, sondern durch die einfache Vergegenwärtigung in der Rezeption, dass der oder die einzelne Rezipierende außerstande wäre, das wahrgenommene Werk selbst zu schöpfen; auf dieselbe Weise erwächst seit Jahrhunderten – deutlich zumindest seit der Zerschlagung der Normen der Kirchenästhetik um 1600 (aber man darf immer an Platon erinnern) – der Gedanke vom Ende der Kunst, der nur durch die geleistete Verwirklichung von neuen Werken durch wirkliche KünstlerInnen – und die stellen sich diese Frage notgedrungenerweise nie mit Ernst – falsifiziert werden kann. Dazu gehört auch, umgekehrt, Steinerts Diskreditierung der scheinbaren Kommerzialisierung der Kunst in den Museen, in die zu verfallen ihn eigene empirische Untersuchungen verführten: ich brauche auf die Masse der Neben- und Gegenmenschen im überfüllten Museum nicht mit derselben Aggressivität zu reagieren wie das künstlerische Bewusstsein auf den Wahrheitsanspruch eines konkurrierenden Werkes; die Schlüsse, die aus der Betrachtung von Werken zu ziehen sind, können auch in einem sozialen Umfeld entstehen, das empirisch sich der Arbeit und Muße solcher Urteilsfällung entgegenstemmt. Es ist nicht das Ende der Kunst definitiv erreicht, wenn heute ein Gärtner, der durchaus ein paar Jahre an der Universität verträumt haben kann, sich mit Klees Schöner Gärtnerin unterhält oder eine Frankfurter Habermasschülerin sich in ein John Cage Konzert verläuft, ohne einen spürbaren Missmut davonzutragen. Allerdings weiß ich auch hier nicht, ob ich Steinerts Haltung gerecht werde oder ob ich mich unnötigerweise von Adorno bannen lasse, denn es scheint, als ob er zwar diese These vom Ende der Kunst zum Ausdruck bringen möchte, dass er aber von der Fülle des Materials, das er selbst zur kritischen Arbeit herbeizitiert, zurückweicht. Wie in der Grundfrage des zweiten Buchs nach Adornos Jazzidiosynkrasie zeigt es sich auch bei dieser Einzelfrage, wie es dem Autor gelingt, dass sich die Materialien von selbst organisieren und dass seine persönlichen Intentionen, die er offen deklariert, den objektiven Aussagen nichts Zusätzliches unterstellen. Allerdings erzeugt dieses Schwanken, so sehr auf seine Vorzüge hinzuweisen ist, bei der Lektüre hie und da die subjektive Schattenseite, dass man sich nicht mehr im Klaren ist, welches nun die Präferenzen des Autors wären und ob sie vielleicht im Verlauf der Untersuchung einen Wandel erfahren hätten. Als Beispiel sei in Kulturindustrie auf die Seiten 35 bis 62 hingewiesen, die durch zu starkes Zurückbinden von Kommentaren den hoffnungsfrohen Eindruck aufkeimen lassen, Steinert sei gegen Jazz und für Adorno.

Wie beim Untertitel des ersten Buches dessen aufdringlich verschraubte Zweideutigkeit zum Argwohn Anlass bietet, so soll eine Unstimmigkeit in bezug auch auf den Titel des zweiten Buches nicht unerwähnt bleiben: Steinerts explizite Ausklammerung aller Analysen Adornos von Unterhaltungsmusik, die nicht unter Jazz zu rubrizieren wäre, macht sich als Handicap durch den ganzen Text hindurch bemerkbar, weil weder Adorno noch Steinert die musikalische Kulturindustrie mit Jazz identifiziert und ihre Entstehung keineswegs in ihm verankert – wie der Titel eben nahe legt. Wie gesagt kann Adorno den Jazz trotz bestem Willen nicht mit ernster Musik vergleichen, weil er begrifflich den Analysen wie ein nasser Fisch entschlüpft. Der Jazz ist offenbar nicht nur psychoanalytisch mit dem Zwitter in Verbindung zu bringen, sondern zeigt auch in der Musiksoziologie sich als eine mehrfach determinierte Gestalt, die vom Liebhaber durchaus zu retten wäre, wenn er's mit der ernsten Musik ernsthaft halten würde – nicht so, als müsste der Jazz zwanghaft zu ihr gerechnet werden, sondern so, dass er ohne falschen Skrupel von ihr geschieden werden könnte, um ihn, wo es denn wirklich möglich wäre, von dem Abgeschmack der Kulturindustrie effektiv zu retten. Jedenfalls impliziert der Titel und schreibt als Überschrift vor, sofern er bei der Lektüre nur argwöhnisch genug erinnert wird, dass Jazz auch jenseits von Adornos Idiosynkrasien, jenseits der Begrenztheit seines begrifflichen Fassungsvermögens als wesentliches, konstitutives Element der Kulturindustrie genommen werden soll.

Es darf als Paradox konstatiert werden, dass es Steinert gerade durch das Brechen von bemühender Systematik mithilfe eines ungenierten, kriminalistisch versierten, nirgends aber störenden Einsatzes von Anekdotischem und in aufwendig gesicherten Archiven für unsere Zeit zu Grabe Gelegtem gelingt, den in der Soziologie herrschenden Neuscholastizismus zu unterlaufen, der wie man weiß darin gründet, theoretische Irrelevantien in buchhalterischem Design so aufdringlich den Texten aufzupfropfen, dass theoretische Gedankengänge bis zur Ohnmacht abgewürgt werden. (Besagte Neuscholastik entstand durch die unheilvolle Allianz der „Wissenschaft“ mit der Machtpolitik und den infantilen Massenmedien: sie macht das je Dürftige im quasisozialen Geschwätz zum essentiellen Thema und formt dieses, bis es den Anschein hergibt, beherrschbar zu sein.) Werden heutzutage die „wissenschaftlichen“ Texte immer irrelevanter, weil sie durch fahrlässige Vorurteilslosigkeit Nichtigkeiten mit der geistlosen aber nichtsdestoweniger pathetischen Attitüde wie alles entscheidenden Fragen begegnen – was meistens sich zwischen Gedankenstrichen und in Anmerkungen niederschlägt, die eventuelle Vorwürfe an die AutorInnen zurückweisen sollen, sie hätten ein Moment im wissenschaftlichen Diskurs noch nicht zur Kenntnis genommen – so gewinnen Steinerts Bücher an Fesselungskraft, indem sie theoretische Erwägungen, die nicht die Grundthesen betreffen, durch biographische Nebensächlichkeiten Adornos ersetzen, oder des öfteren auch durch persönliche Einschätzungen des Autors selbst, die die Schreiblust nicht unangenehm spüren lassen. Das mag im Lichte wissenschaftstheoretischer Gebote, von denen hier die Askese in litteris zu nennen wäre, etwas Negatives an sich haben, auch im Lichte der eingangs erwähnten des jungen Adorno; es wird dadurch aber Raum geschaffen zu Beurteilungen der Sachlage für die Lesenden selber. Wenn ein Text so freimütig und ungeschützt die subjektive Urteilskraft zur Schau stellt – dass Jazz eine auch theoretisch ernstzunehmende Sache sei – dann drängt er dem musikalisch Theoretisierenden eben diese Haltung gerade nicht mehr auf. Und dies ohne ihm Material vorenthalten zu müssen, das zur kritischen Beurteilung notwendig ist, das aber eine nicht explizierbare und nicht verbindlich zu rechtfertigende Haltung diskreditieren würde. (Gegen Jazz ließe sich einiges sagen, und mehr, als dass es in seiner Umgebung bloß komisch riechen tät. Gerade in der im Wortsinn vom Jazz beherrschten Stadt Frankfurt, Schreibstätte des Autors, zwingt einen die Toleranz gegenüber seinen autoritär-rebellischen Praktikantinnen, sich in ebenso wahrem Wortsinne in die Büsche des Botanischen Gartens zurückzuziehen. Die Dezibelschläge des Frankfurterjazz, merely thick as a brick, scheinen mir nicht durchwegs, wie Steinert offenherzig verkündet, das kritische Potential innerhalb der Kulturindustrie zu kräftigen.) Auch wenn einen des Autors Verteidigung des Jazz zum Haareraufen nötigt, bleiben seine Materialaufbereitungen beides: in der Lektüre genussvoll wie theoretisch informativ – zuweilen hart dabei, die eigenen Schlussfolgerungen zum Rückzug zu nötigen. Es braucht sich deswegen aber kein Wino Man in ein fortgesetztes Lamento über den Abfall vom eigentlichen Original zu stürzen. Denn es ist das gute Recht der Wissenschaft, und ebenso Zeugnis ihrer Tauglichkeit, Fakten so aufzubereiten, dass verschiedene Schlüsse aus ihnen gezogen werden können, weil die Prämissen ihrer Betrachtungsweise, seien sie objektiv historisch oder subjektiv lebensstilistisch situiert, sich verändern lassen. Steinerts Bücher sind ein maßgeblicher Impuls und ein breiter Grundstock für die systematische Theoriebildung nicht nur bezüglich der Schriften Adornos, sondern auch der zeitgenössischen intellektuellen Gesellschaftsgruppe, indem sie sich dem Systemterror in den Sozialwissenschaften nicht beugen, der systematisches Denken im Gewand scheinseriöser und biederer Verwaltungsarbeit verhöhnt.

 

Adorno in Wien klärt wichtige Datierungsfragen bezüglich Adornos Kompositionslehre bei Alban Berg und seiner erstaunlich kurzen redaktionellen Tätigkeit beim Anbruch, der damaligen Wiener Musikzeitschrift; darüber hinaus bietet es einen großzügig konzipierten und erkenntnisreichen Einblick in den sozialen Alltag Wiens nach der Jahrhundertwende, entlang den Namen Gustav Mahler, Arnold Schönberg, Ludwig Wittgenstein und Karl Popper. Ein großer Gewinn des zweiten Buches ist darin zu sehen, dass ideologische Verkäufer des Jazz nun so mit List ins textliche Gewebe Adornos hineingezogen werden, dass bereits ohne eigentliches Dazutun sie mit musikalischen bzw. musiksoziologischen Argumentationsverläufen in Kontakt geraten, die den Glanz ihrer Werbeslogans dumpf ermatten lässt. Das soll als offener Schluss mit einem Zitat von Alexander Jemnitz aus dem Jahr 1925, Kulturindustrie, p. 69 illustriert sein, das wegen seiner Zwitterhaftigkeit noch heute für die Häuser beider Seiten, der Jazzer wie der Musikalischen, sprechen kann: „Seine (des Jazz) zusammenschweißende, bindende Kraft, jene inhaltsbezwingende, nivellierende Macht, die zuvörderst, ja allein zu solcher gemeinsamen Nennerschaft befähigt, wurzelt in seinem rhythmischen Element. Nicht aber – wie viele anzunehmen geneigt sind – in seinem spezifischen Klangkolorit, dessen durchdringend sinnlich leuchtender, fieberhaft ungeduldig werbender Glanz unsere Nerven allerdings in heftige Wallungen voll gierigen Lebenshungers versetzt und dennoch nur als Helfershelfer das sieghafte, rhythmisch-motorische Prinzip unterstützt.“ Das ist die getreue Wiedergabe des Jazz als Geist von Aufmüpfigkeit. Das ist die getreue Wiedergabe des Jazz als Geist von Anpassung.

 

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