scribbles-disco




Ueli Raz
Scribble's errancing
Disco 1 (bis März 2006)
Disco 2
Disco 3 (ab Mai 2006)

Archive ab August 2005



Maerz 2006
SMDMDFS
   1234
567891011
12131415161718
19202122232425
262728293031 



Nur in Scribble's errancing:


Notizbuchforum
Home » Archive » Maerz 2006 » Reproduktion des Autoritären

[Vorangehender Eintrag: "Weiterhin Wechselhaftes WestWindWetter"] [Nachfolgender Eintrag: "Pelléas et Mélisande"]

ur am 23. Maerz 2006 um 17.03 Uhr: Reproduktion des Autoritären

Fast alles, worunter die Menschen leiden, lässt sich unter einem einzigen Titel zusammenfassen, den Effekten der Reproduktion des Autoritären, also der Gewalt, der Einschüchterung sowie den statischen und wechselhaften Machtkonstellationen. Aus der Theorie von Jürgen Habermas, die seit den sechziger Jahren im kommunikativen Austausch auch mit entlegenen Disziplinen so detailreich wie umfassend die philosophische Vernunft durchforstet, sind sie exstirpiert. Diese Vernunft erscheint einem in der weitläufigen und anstrengenden Lektüre zuweilen wie kahlgeschlagen, als ob Schutz und Fürsorge ihrem Wesen nicht entsprechen würden. Die Philosophie von Habermas ist in solchen Momenten gleichwie besonders um Rationalismus und Realismus bemüht und besonders kenntnisreich. Zum Neulesen und Nachdenken überlassen die in Lehren ausgejäteten Diskussionsgebilde aber nur noch wenig.



Zusätze: 6 Zusätze

Am Dienstag, 28. Maerz 2006 um 01.29 Uhr schrieb philotustan: 'Einschüchterung' ist ein Stichwort, das mir vieles von dem, was wir in den Studienjahren betrieben und erlitten haben, recht gut zu beschreiben scheint. Da wurde doch manche zaghafte Äusserung mit einem Hinweis auf undialektisches Denken und dergleichen sofort abgestellt. Die Frage, ob man etwas (so) sagen könne/dürfe, war schon gestellt, ehe man darangehen durfte, dieses etwas in der einen oder andern Weise zunächst mal zu entfalten. Das führte zu Rechtfertigungsdiskursen bezüglich der Art des Sprechens, noch ehe man wusste, worüber man mit aller gebotenen Vorsicht (Gott, was mussten wir aufpassen!) überhaupt sprechen wollte. (Und natürlich spreche ich hier nicht von den Universitätsstrukturen und dergleichen, sondern schlicht davon, wie kleine Ignoranten - Marxisten, Gesellschaftskritiker und Apparatschicks - einander täglich einheizten.) -

Tja, so sehe ich diese Zeit jedenfalls. Ich will ja nicht klagen, zumal ich selber zu den kleinen Apparatschicks zählte. Aber ich kaue noch heute ab und zu an diesem alten, lächerlichen Zeug. Und ich neige dazu, die 'Linken' für alle Übel verantwortlich zu machen. Die heutige 'political correctness' kommt mir wie die Fortsetzung der damaligen Denkverbote vor.

Es ist schon lustig: Möglicherweise lokalisierst du Engstirnigkeit genau da, wo ich damals eine Insel des freien Denkens inmitten von miefiger, ignoranter Gedankenkontrolle, die sich als 'kritisches Denken' gerierte, erblickte. - Vielleicht findest du, dass ich diesen kleinen biographischen Details von 'singulären Subjekten' zu viel Gewicht verleihe. (Der Schrecken des Vorwurfs, nicht 'das Ganze' und dergleichen zu denken, steckt mir immer noch in den Knochen.) Findest du?

Am Montag, 27. Maerz 2006 um 23.34 Uhr schrieb schlendrian: @ ur

Aber der Rorty ist doch ein lieber, oder?

Am Montag, 27. Maerz 2006 um 19.25 Uhr schrieb ur: Dünkel & Ignoranz:
Verleugnung der Gesellschaftswissenschaften und der Geschichte der Theorien des Ästhetischen;
Desinteresse am gesättigten Darstellen einer Position, die lauthals verneint wird;
konstitutive Unfähigkeit zur Selbstkritik;
pathologisches Einfordern der eigenen reduzierten Rationalitätsmodi bei den andern;
Abwehrhaltung gegenüber Fragen, die im Raum stehen, insbesondere von solchen, die mit den Quellen der Gewalt zu tun haben;
paranoische Reaktionsweisen bei Äusserungen, die nur formal, nicht aber dem Gehalt nach an ein singuläres Subjekt gerichtet sind;
Verneinen der Notwendigkeit zur Anstrengung im sprachlichen Ausdruck...

Am Sonntag, 26. Maerz 2006 um 23.13 Uhr schrieb philotustan: Seufzer und echte Frage zugleich: "Was zum Teufel hast du nur gegen Davidson & Co?" -

Versteh mich recht: Ich möchte von dir jetzt nicht ein paar bäumige Argumente, von denen du ohne Zweifel eine Menge auf Lager hast, zu hören bekommen. Mehr etwas von der Art: Philotustan, danach gefragt, was er denn gegen Habermas habe: "Ich kann ihn nicht ausstehen. Und das hat damit zu tun, wie ich seine Anhänger in einem Proseminar WS72/73 erlebt habe." -

[Magst du dich auf ein so tiefes Niveau herablassen? -

Ich für mich mag halt keine Rechtfertigungen oder Argumente mehr weder liefern noch mir anhören.]

Am Samstag, 25. Maerz 2006 um 10.45 Uhr schrieb ur: Die Polemik gegen den inflationären Gebrauch des Lehrbegriffs in den späten philosophischen Texten von Jürgen Habermas ist möglicherweise hysterisch und überzogen, weil der Begriff der Lehre unverkennbar metaphorische Züge angenommen hat und frei ist von jedem Bezug zur grossen Geschichte. Er spricht dann gemässigter von einer wesentlichen Eigenschaft einer Theorie, die man deutlich zu benennen hat, deutlicher, als sie dem Autor vielleicht klar ist. Wenn man Habermas' Texte in redundante gesprochene Sprache übersetzt, entfällt im Memorieren einiges an Schwierigkeiten. Lesen mit Gehörschutzvorrichtungen in allen Variationen geht häb chläbb; doch wie sprechen unter Fernsehern, den Zentralmotoren der Autoritätsreproduktion?

Am Freitag, 24. Maerz 2006 um 08.32 Uhr schrieb ur: Seit 30 Jahren fesselnd-gefesselte Lektüre eines Werkes mit überragender intellektueller Potenz in einem Gemisch von höchster Bewunderung, flauen Gefühlen in der Magengrube und lähmenden Einsichten ins eigene Ungenügen. Es fällt meistens nur wenig schwer, es zu lesen, unbedingt aber, es sich zu eigen zu machen. Übers eigene Ungenügen gerät man auch bei Kant, Hegel, Marx und Adorno ins Stolpern. Bei all den angehäuften Lehren aus dem zwanzigsten und einundzwanzigsten Jahrhundert ertappt man sich in der Sonntagsschule von Habermas aber beim Träumen von - keiner. Ausserhalb der vorwärtstreibenden Werke der Theorie des kommunikativen Handelns und des polemischen Diskurses der Moderne hat man es mit einem Amieisenhaufen voller Ad-hoc-Hypothesen aus der angelsächsisch-anglikanischen Neuscholastik zu tun. Die Tatsache, dass aus einer Lehrmeisterlaune von Putnam, Rorty, Davidson, Brandom, Searle, Austin oder ihren Adepten unvermittelt ein ganzes Buch oder eine Konferenz erwächst, das ich Hanswurst weit im Abseits der Welt unbedingt bis in alle Fussnoten hinein durchgearbeitet haben muss, zeugt weniger vom intakten Rationalitätspotential der gegenwärtigen Gesellschaften als vom abgehobenen aristokratischen Umgang mit der Vernunft, der wohl nicht gegen jene gewendet ist, ihnen aber, trotz der neuerdings entstandenen Lehrattitüde, zur Selbstenfaltung entschieden zu wenig Hand bietet.






Ur    Lala   Tsi ("Doggy") Dong